Chirac ist hingegen das Mitgefühl in Person. Das malträtierte Volk dankt es ihm, schwenkt Algerien- und Frankreich-Fähnchen und küsst dem hohen Gast die Hand. Mehr als 750 Tote forderte das Unwetter des 10. November. "Ich verlange eine Schweigeminute", deklariert Chirac vor den Absperrungen um den Triolet-Platz, der unter einer meterdicken Schlammschicht begraben ist, wo Feuerwehrleute Leichen bergen und orange Bulldozer entwurzelte Bäume aus dem erstarrten Lehm zerren. Langsam breitet sich der präsidiale Wunsch über die ruhiger werdende Menschenmenge aus; Chirac steht mit hochgerecktem Kinn da. Neben ihm Bouteflika, mehr als einen Kopf kleiner und sprachlos ob des präsidialen Bulldozers aus Paris, dem die Algerier zujubeln.
Allzu euphorisch auch wirken einzelne Fähnchenschwinger - zumindest verglichen mit dem Sprechgesang junger Burschen: "Bab el-Oued, Chouayaddah (Märtyrer)", skandieren sie, wie vor zehn Jahren die FIS-Islamisten, die nach ihrem abgewürgten Wahlsieg in dem rebellischen Armenquartier Zuflucht vor dem Militärregime gefunden hatten.
Die Menschen hier haben nur noch einen Traum: "Visa! Gebt uns Visa nach Frankreich!", rufen sie Chirac zu. Der aber steigt schon wieder in seine dunkle Limousine und prescht in einer riesigen Staubwolke davon.
Die erste Algerien-Visite eines französischen Präsidenten seit 1989 wurde möglich, weil man seit dem 11. September beiderseits des Mittelmeers das gleiche Ziel hat: den islamistischen Terrorismus "auszumerzen" (Chirac). Dieses Wort ist seit Jahren Programm für das algerische Regime - ein Regime, dessen Brutalität und Korruption in Europa bis vor kurzem noch als mitschuldig am Aufschwung der Islamisten gegolten hatte. (DER STANDARD, Print-Ausgabe vom 5.12.2001)