Stockholm - Seit Jahren taugt das Gerücht, Bob Dylan zähle mit seinen Song-Texten zu den Kandidaten für den Nobelpreis, allenfalls für eine Anekdote. Allzu bekannt ist der Konservativismus der schwedischen Jury, die bisher mitnichten gewillt schien, den literarischen Olymp für Textsorten jenseits der Trinität von Prosa, Dramatik und Lyrik zu öffnen. Dass sich dies nun möglicherweise ändern soll, ist eine Interpretation des Symposiums "Literatur als Zeugnis", zu dem die Schwedische Akademie alle lebenden Träger des Literatur-Nobelpreises 100 Jahre nach dessen erstmaliger Vergabe nach Stockholm bat. "Warum sollen denn nicht literarisch herausragende Essays, Reportagen, Tagebücher oder autobiografische Bücher ausgezeichnet werden", fragte sich denn auch Akademie-Sekretär Horace Engdahl im Vorfeld der Tagung, die heute, Mittwoch, endet, öffentlich. Eben, warum eigentlich nicht? Seit 1945 aber gingen nur zwei Preise an Autoren von Texten jenseits des klassischen Literaturkanons: zwei Briten - der Philosoph Bertrand Russell (1950) und Winston Churchill (1953) erhielten die Auszeichnung für ihre philosophischen bzw. historischen und biografischen Schriften. Welche der nobilitierten Literaten nun tatsächlich nach Stockholm gereist sind, wollte die Akademie im Vorfeld in altgewohnter Geheimniskrämerei nicht bekannt geben. Nadine Gordimer, die 1991 ausgezeichnet wurde, wird jedenfalls einen Vortrag halten, Toni Morrison (1993) sagte ab. Und Günter Grass diskutiert. Horace Engdahl aber zeigte sich irritiert, dass Dylans Texte bei der letzten Platte Love And Theft wieder nicht der CD beigegeben wurden. Denn das Vorliegen eines öffentlich zugänglichen Textes in gedruckter Form sei schließlich "die einzige wirkliche Bedingung für uns". Hört, hört. Reichlich neu tönt das zweite noble Jahrhundert in Stockholm. Messen lassen müssen sich solche flotten Sprüche allerdings an kommenden Taten - ab nächstem Oktober. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 5. 12. 2001)