Wenn die israelische Armee Raketen losschickt, die 30 Meter von Yassir Arafats Büro einschlagen, dann nimmt sie dessen Tod zumindest in Kauf, vielleicht billigend in Kauf. Das ist es, was einem Chef "einer Einheit, die Terrorismus unterstützt" eben passieren kann, zur solchen hat die israelische Regierung die Palästinensische Autonomiebehörde erklärt. Arafat braucht kein palästinensischer Osama Bin Laden zu sein, als den ihn Israels Premier Ariel Sharon nach dem 11. September international gesehen haben wollte; ein palästinensischer Taliban-Führer tut es auch. Immerhin werden diese soeben von den USA in Afghanistan politisch entmachtet und physisch vernichtet. Und Washington steht nach den Terroranschlägen von Sonntag voll hinter den Aktionen Sharons, bekräftigte US-Außenminister Colin Powell am Dienstag erneut. So weit scheint alles klar, das Mitleid mit einer korrupten, politisch und moralisch unfähigen palästinensischen Führung hält sich in Grenzen. Schuld und Fehler hat Arafat tonnenweise auf sich geladen - zu ihnen gehört übrigens nicht der ihm von der israelischen Propaganda angelastete, dass er in Camp David im Sommer 2000 nicht Ja und Amen zu allem gesagt hat, was ihm Ehud Barak vorlegte. Zumindest die USA verlangen aber von demselben Arafat, den die Israelis mit US-Zustimmung auf die Abschussliste gesetzt haben, weiter Kooperation: Das ist unstimmig und zeigt nicht weniger, als dass Washington die Sache im Moment entglitten ist. Sharon hingegen ist rational wie immer. Ziele wie der Flughafen in Gaza und die Hubschrauber der Palästinensischen Autonomiebehörde verraten ein klares Konzept: Nicht nur die Infrastruktur des palästinensischen Terrorismus, sondern die Symbole des werdenden palästinensischen Staates selbst sollen getroffen werden. Denn wenn wirklich nur Arafat als Führer der Palästinenser verschwinden soll, warum könnte dann nicht sein Nachfolger den Flughafen und die Hubschrauber weiter benützen? Sie müssen weg, weil sie Resultat des vom Großteil der jetzigen Regierung ungeliebten Oslo-Prozesses und damit Zeichen einer zukünftigen palästinensischen Souveränität waren. Manche israelische Regierungsmitglieder dürften diese Intention nicht einmal bestreiten - sie haben ja die wohlfeile und schmerzlich unaufrichtige - Erklärung, dass Arafat mit seiner Verweigerung in Camp David (siehe oben) gezeigt hat, dass er diesen, durch einen Friedensprozess erreichten Staat ebenfalls nicht wollte. Leider besteht der Verdacht, dass auch hinter dem Wunsch, Arafat loszuwerden - ihn umzubringen oder ihn zur Ausreise zu zwingen oder ihn vor seinen Leuten so zu demütigen, dass seine Position nicht mehr haltbar ist - der Gedanke steckt, einen Schlussstrich unter den Friedensprozess der Neunzigerjahre zu ziehen. Die junge Garde der Palästinenser, die auf die Nachfolge wartet, hat keine Einigung durch Verhandlungen mit Israel auf der Agenda, ihr "Sieg" sieht anders aus, denn sie nimmt sich die Hisbollah im Südlibanon als Vorbild, deren Kampf Israel letztlich so viel gekostet hat, dass es unilateral abgezogen ist. Dass ein geräumtes Gebiet noch lange kein Staat ist, gehört nicht in ihr kurzfristiges taktisches Denken. Und vielleicht kommt das manchen Leuten in Israel ganz recht. Falls es aber einer aus der alten Garde rund um Arafat auf dessen Thron schafft, wird er im Moment genau die gleichen Probleme haben und wahrscheinlich genauso reagieren wie dieser: Um die schwindende Legitimität der Autonomiebehörde auf der Straße zu konterkarieren, wird er sich nicht oder nicht genug gegen die radikalen Gruppen stellen. Den israelischen Wunsch-"Friedenspartner" kann es unter den gegenwärtigen Verhältnissen ohnehin nicht geben: Das wäre einer, der nicht nur an die Bedürfnisse des eigenen, sondern auch an die des anderen Staates und der ganzen Region denkt. So eine Figur ist auch in der israelischen Regierung nicht zu sehen. (DER STANDARD, Print- Ausgabe, 5.12.2001)