Buenos Aires/Montevideo - Argentinien steht einen Schritt näher am Abgrund, nachdem der Internationale Währungsfonds (IWF) die Auszahlung einer dringend benötigten Kredittranche an das faktisch bankrotte Land verweigert hat. Die Summe über 1,2 Mrd. Dollar werde nicht ausbezahlt, weil Argentinien die Haushaltsvorgaben nicht erfüllt habe, so ein IWF-Sprecher am Mittwochabend in Washington. Der wahre Grund liegt Insidern zufolge aber in der wachsenden Unzufriedenheit des IWF mit der Politik von Wirtschaftsminister Domingo Cavallo, der seine Entscheidungen ohne Rücksprache oder vorherige Information des IWF treffe. Es sickerte durch, dass der IWF Argentinien bisher vergeblich drängte, die 1:1-Dollarbindung des Peso aufzugeben und sich für eine Abwertung oder Dollarisierung zu entscheiden. Experten sind der Meinung, dass die starre Währungsbindung eine Wiederbelebung der Konjunktur und die Anpassung an externe Schocks wie etwa die Abwertung des brasilianischen Real verhindert. Die Regierung lehnte diese Alternativen bislang strikt ab und verhängte am Wochenende stattdessen Kapitalverkehrskontrollen, um angesichts der Panik der Sparer vor einer Entwertung des Peso das Ausbluten der Devisenreserven zu verhindern. Nach der negativen Entscheidung des IWF stehe Argentinien auf "des Messers Schneide", befand die Dresdner Bank Lateinamerika. Denn die 1,2 Mrd. Dollar - Teil eines Hilfspakets über 21 Mrd. - waren eigentlich zur Bedienung der im Dezember fälligen Zinsen auf Schuldscheine in Höhe von knapp einer Milliarde Dollar gedacht. Die Bank geht davon aus, dass Argentinien dennoch alles dransetzen wird, um die Schulden zu bedienen und den derzeit laufenden Schuldenswap nicht zu gefährden. Notfalls mit den Zentralbankreserven oder durch Anleihen bei den Pensionsfonds. Wirtschaftsminister gereizt Cavallo zeigte sich am Mittwochabend gereizt angesichts des Drucks der internationalen Geldgeber. Die Ratingagenturen - die Argentinien bereits in die Kategorie "selektiver Default" eingestuft und die jüngsten Maßnahmen kritisiert hatten - hätten die Währungspolitik Argentiniens noch nie verstanden, sagte Cavallo. Sie irrten in ihrer Meinung, es handele sich um einen festen Wechselkurs. Standard and Poor's ist der Meinung, dass eine Dollarisierung des Bankensystems längst hätte stattfinden müssen. Auch der Wirtschaftswissenschafter Orlando Ferreres sprach sich für eine rasche Dollarisierung aus. Eine Abwertung lehnte er ab, da dies zu Inflation führe, die den Lohn- und Rentenempfängern schade. Da ein Großteil der Schulden in Dollar gezeichnet ist, wäre die Entlastung für den Staatshaushalt bei einer Abwertung zudem gering.

Eine Dollarisierung ist nach Ansicht des Wirtschaftexperten Hector Valle jedoch technisch nicht durchführbar, da die Dollarreserven der Zentralbank dafür nicht ausreichten. Außerdem werde damit die mangelnde Wettbewerbsfähigkeit nicht gelöst.

Das Szenario hat sich in den letzten Wochen deutlich verdüstert. Der Konsum fiel um 20 Prozent, die Importe um 32 Prozent, die Steuereinnahmen um elf Prozent, während die Arbeitlosigkeit auf knapp 20 Prozent anstieg. Bisher legte die Regierung noch keinen Haushalt vor, und ab dem 10. Dezember wird sie sich im neuen Kongress mit einer klaren Mehrheit der oppositionellen Peronisten konfrontiert sehen. Für den 13. Dezember kündigten die Gewerkschaften einen Generalstreik an. Sollte das mit 132 Mrd. Dollar verschuldete Land sich für zahlungsunfähig erklären müssen, wäre dies der größte derartige Fall der Finanzgeschichte. Einen Hoffnungsschimmer brachte lediglich der Schuldenswap. Inländische Gläubiger akzeptierten angesichts der drohenden Zahlungsunfähigkeit das Angebot, ihre Schuldscheine in solche mit niedrigerer Verzinsung und längeren Laufzeiten einzutauschen, deren Bedienung durch Steuereinnahmen garantiert ist. Nach Angaben des Wirtschaftsministeriums wurden bislang Bonds im Wert von 50 Mrd. Dollar getauscht, was 2002 eine Zinsersparnis von mehr als drei Mrd. bedeute. In den nächsten Wochen wird der internationale Swap über die Bühne gehen. (Standard-Korrespondentin Sandra Weiss, Der Standard, Printausgabe, 07.12.01)