Wien/Graz/Innsbruck - Überall weiße Kittel. In der Eingangshalle des Wiener Allgemeinen Krankenhauses (AKH) schritten Mittwoch fast 500 Ärztinnen und Ärzte zur kollektiven Visite. Patient: Spitzenmedizin in Österreich. Diagnose: akut drohende irreparable Schäden durch das neue Uni-Dienstrecht. Auch in Graz und Innsbruck protestierten Ärzte.

Die Mediziner fühlen sich durch die seit Oktober geltende Neuregelung, vor allem in der Besoldung, gegenüber anderen Disziplinen massiv benachteiligt. Denn Mediziner, die die Ausbildung zum Facharzt an einer Uni-Klinik absolvieren, verdienen jetzt um ein Drittel weniger als nach dem alten Schema (35.000 Schilling). Ein Facharzt in Ausbildung verdient damit für eine 40-Stunden-Woche brutto ca. 25.000 Schilling (1816 EURO), 14-mal im Jahr (ohne Journaldienste, die nach Fach nur sehr unterschiedlich möglich sind). "Ein Monatsgehalt unter dem einer Krankenschwester und wenig über dem einer Raumpflegerin", sagte eine betroffene AKH-Ärztin. So werde die Uni-Laufbahn zur "abschreckendsten und unattraktivsten Option" für Mediziner, betonte der Vizepräsident der Tiroler Ärztekammer, Christoph Brezinka.

Die Vertreter der medizinischen Fakultät der Uni Wien fordern um 50 Prozent mehr Gehalt (37.800 Schilling). Immerhin gehe es um ausgebildete Doktoren, die nicht vergleichbar seien mit Absolventen anderer Fächer, die ihre Doktorarbeit mit dem gleichen Gehalt und 50-prozentiger Freistellung von der Arbeitszeit schreiben können.

Der Dekan der Wiener Medizinerfakultät, Wolfgang Schütz, sieht durch das neue, unattraktive Dienstrecht die Qualität der Hochschulmedizin und der Patientenversorgung mittelfristig gefährdet. Mit rund 14.000 Schilling netto für Jungmediziner bewege man sich "bald im Bereich der Sittenwidrigkeit".

Die Auswirkungen der Gehaltseinbußen sind am AKH Wien bereits zu spüren. Die Bewerbungen für universitäre Arztstellen seien um 50 Prozent zurückgegangen. Wo sich bisher um eine Chirurgiestelle 20 bis 25 Kandidaten beworben haben, täten dies jetzt nur noch halb so viele, berichtete Schütz. An der Grazer Kinderklinik haben sich für zwei freie Bundesstellen zehn Bewerber gemeldet, für zwei Landesstellen waren es 30.

Laut Ärztekammer gibt es derzeit 500 bis 700 angehende Fachärzte. An den drei Uni-Kliniken werden, so Schütz, im Jahr an die 100 Jungmediziner neu eingestellt. Seit Oktober seien in Wien rund 15, in Graz vier bis fünf vom neuen Gehaltsschema betroffen.

Falls das Wissenschaftsministerium nicht auf die Forderungen und Proteste der Ärzteschaft reagieren sollte, "werden wir selbstverständlich weitermachen", ließ der Wiener Kuriensprecher Anton Luger wissen. Es gebe aber "erste positive Anzeichen".

Ministerin Elisabeth Gehrer (VP) sagte, die Gewerkschaft habe dem neuen Gehaltsschema zugestimmt, wenn eine stärkere Differenzierung notwendig sein sollte, würden aber "vernünftige Gespräche" geführt. (nim, bs)

(DER STANDARD, Printausgabe, 6.12.2001)