Bischofshofen/Wien - Patrick Reiter hat seinen Bauch reden lassen. Und der hat ihm zuletzt immer wieder gesagt, er solle es endlich sein lassen, das Judo aufgeben. Der 29-jährige Reiter gehorchte und hat dieser Tage selbst gesprochen. "Ich höre auf. Weil man sich auf seine Gefühle verlassen soll." Speziell dann, "wenn man sie durch vernünftige Argumente belegen kann".Neun Medaillen in der Sammlung

Da war die Karriere, "in der ich fast alles erreicht habe". 1992 wurde Reiter Junioren-Weltmeister, drei Jahre später Europameister bei den Erwachsenen, insgesamt sammelte er neun Medaillen. Das "fast" bezieht sich auf die Olympischen Spiele, die mochten ihn nicht - sowohl 1996 als auch 2000 scheiterte er frühzeitig. Der Salzburger hatte angekündigt, auf Gold aus zu sein. "Das wurde als Goschertheit und Größenwahn dargestellt. Aber ich zählte mich zu den Favoriten, wählte diesen Weg." Er stehe auch heute noch dazu, als Vertreter einer Randsportart müsse man die raren Gelegenheiten nützen. "Alle vier Jahre bist du interessant. Ich wollte nicht den typisch österreichischen Weg gehen und davor Ausreden suchen. Ich ging aufs Ganze, habe verloren."

Fehlende Perspektiven

Reiters Bauch hat natürlich auch in die Zukunft geblickt. Und er hat gesehen, dass die nicht mehr Judo sein kann. Der Körper muckte auf, sogar eine Pause wurde notwendig - das harte Training, das Werfern, das Fallen und andere Belastungen lehnte er fast schon strikt ab. "Der Hauptgrund sind die fehlenden Perspektiven. Mir wurden die Grenzen immer deutlicher aufgezeigt. In Österreich fehlen die Strukturen, das Geld. In Ländern wie Frankreich oder Japan arbeiten die Verbände so professionell wie bei uns der ÖSV. Da kann man nicht mithalten."

"Ich bin nur ein Randsportler"

Reiter sah also ein, was er immer schon wusste. "Ich bin nur ein Randsportler." Das sei in Österreich nicht immer der Fall gewesen, Peter Seisenbacher etwa, Olympiasieger 1984 und 1988, hatte "tolle Verhältnisse. Das lag am Präsidenten Kurt Kucera - der hat alles aufgestellt, da konnte man wie ein Spitzensportler arbeiten." Vielleicht wurde damals versäumt, "auf die Breite zu schauen". Judo habe schließlich verloren. "Das Fernsehen hat nichts mehr gezeigt, es gab immer weniger Sponsoren, wir verschwanden. Man investiert und erhält keinen Rückfluss."

Perfekte Lebensschule

Trotzdem: "Judo ist eine perfekte Lebensschule. Du lernst das Menschsein, du nimmst die asiatische Philosophie an. Du begreifst, was wirklich wichtig im Leben ist, gehst mit dem Druck der Gesellschaft sehr gelassen um. Ich durfte viel erleben."

Reiter hat beim Bundesheer eine Berufsausbildung gemacht und ein Unternehmen gegründet. Eine Personalentwicklungsfirma - Fitness-Coaching für Führungskräfte ist der Schwerpunkt. Zweimal wird er noch Judoka sein, am 8. und am 14. Dezember für Bischofshofen im Finale der Bundesliga. "Dann ist die Türe zu. Judo lasse ich aus dem Herzen nicht mehr raus." (Christian Hackl, Printausgabe DerStandard, 6. 12. 2001)