Österreich
Prozess um Tod einer jungen Steirerin nach Selenbehandlung
Wegen Umrechnungsfehler mündet Prozess in Gutachter-Streit
Graz - In einen Streit der Gutachter mündete am Donnerstag
vor dem Straflandesgericht Graz der Prozess um den Tod einer jungen
Steirerin, der höchstwahrscheinlich auf eine Überdosis Selen
zurückgeht. Der angeklagte Arzt, der sich selbst als
"Ergänzungsmediziner" bezeichnete, bekannte sich der fahrlässigen
Tötung unter besonders gefährlichen Umständen für nicht schuldig. Die
belastenden Gerichtsgutachten wurden mittels Gegenexpertisen
angezweifelt. Der Richter vertagte und kündigte die Beauftragungung
eines weiteren Gutachtens an.Weltweit gibt es keinen einzigen Fall von intravenöser Selenvergiftung
Signifikant war die Aussage des Leiters der Grazer
Gerichtsmedizin, Peter Leinzinger: "Es ist ein ganz besonderer Fall,
so oft bin ich von außen noch nie ermahnt worden." Besonders ist der
Fall der in der Nacht von 13. auf den 14. Oktober 2000 verstorbenen
32-Jährigen nicht nur wegen der Interventionen, sondern auch wegen
seiner Einzigartigkeit: Laut Leinzinger gibt es weltweit keinen
einzigen dokumentierten Fall von Selenvergiftung auf intravenösem
Weg.
Symptome seien eindeutig gewesen
Dass es sich um eine Selenvergiftung gehandelt hat, die zum Tod
von Doris Sch. geführt hat, darüber waren sich Gerichtsmediziner und
Pharmakologe einig: Der Eine rechnete hoch, dass der Patientin eine
1.000-fach zu hohe Dosis verabreicht worden sein musste, der Andere
führte bis zu 70-fach überhöhte Selenwerte im Blut bzw. in den
Organen der Toten ebenso wie ein akutes Ereignis als "absolut
gesichert" an. Auch die bei der jungen Frau beobachteten Symptome
seien eindeutig gewesen.
Letale Überdosis
Die Staatsanwaltschaft glaubte zu wissen, wie es zu der letalen
Überdosis gekommen war: Die junge Frau hatte sich wegen ihrer
Rückenschmerzen an "Ergänzungsmediziner" B. gewandt, weil ihr die
Schulmedizin nicht helfen konnte. Dieser verschrieb ihr, nachdem er
ihr u.a. die Entfernung der Amalgam-Plomben empfohlen hatte, zunächst
Selen-Tabletten und verabreichte ihr dann eine Seleninjektion -
wenige Stunden später war die vom Hausarzt als gesund beschriebene
Patientin tot.
Für Anklagevertreter Walter Plöbst war klar, dass sich B. bei der
Dosis verrechnet hatte und versuchte nachzuweisen, dass er eine
größere Menge Natriumselenit beschafft habe, um sie selbst nach
Bedarf abzumischen. Der Angeklagte beteuerte indes, dieses Material
nicht für die Ordination, sondern für seinen Sohn und dessen
Experimente mit Keramikglasuren beschafft zu haben. Er selbst habe
nur mit Original-Ampullen gearbeitet.
Erörtert wurde auch der Umstand, dass der Beschuldigte der
Aufforderung des ärztlichen Leiters des LKH Hartberg, er solle - auch
zu seinem eigenen Schutz - die fragliche Ampulle holen, nicht
nachgekommen war. "Damals habe ich nicht soweit gedacht", begründete
B. sein Verhalten mit der Ausnahmesituation nach dem Tod seiner
Patientin. Im Übrigen blieb er bei seiner Meinung, Sch. sei nicht an
einer Selenvergiftung gestorben. "Es war ein Nierenabszess", sagte er
halblaut im Zuge der hitzigen Diskussionen, die sich zwischen
Anklagevertreter, Gutachtern und Verteidiger entsponnen.
Gutachten wurden von den Experten in Zweifel gezogen
Die von der Verteidigung beauftragten Gutachten wurden von den
anwesenden Experten zwar in Zweifel gezogen ("Ich geniere mich für
die Zunft der Gutachter, wenn sich jemand so nach dem Wind dreht.").
Im Trubel der Fachtermini zog es Richter Grygar letztlich aber vor,
ein weiteres Gutachten einzuholen. Er vertagte die Hauptverhandlung
auf vorerst unbestimmte Zeit. (APA)