Wien - Das Schlimmste ist vorüber. Die Börsen nehmen den wirtschaftlichen Aufschwung, der im zweiten Halbjahr 2002 erfolgen soll, bereits vorweg. Auch private Anleger sollten nun wieder - wenn auch vorsichtig - in Aktien investieren, um nicht zu spät zu kommen. Die jüngsten Kursanstiege an den Börsen seien somit keine "Eintagsfliegen", meinen die wichtigsten Analysten der heimischen Banken. Roland Neuwirth von der Deutschen Bank in Wien meint, dass es nun zu einem "liquiditätsgetriebenen Kursanstieg" kommen werde: "Viele Fonds sitzen auf großen Geldbeständen, die sie nun investieren - auch weil die Zinsen im Anleihenbereich so niedrig sind." Im Gegensatz zu vielen Kollegen von österreichischen Instituten warnt Neuwirth allerdings vor einer erneuten starken Korrektur an den Märkten vermutlich im kommenden Jahr, bevor die Wirtschaft dann endgültig in eine längerfristige stärkere Wachstumsphase übergehe. Zu den Aktienfavoriten von Neuwirth gehören an der Wiener Börse Telekom Austria, Voest Alpine, Erste Bank, Andritz und Palfinger. Insgesamt erwartet die Deutsche Bank in Wien wie auch international ein Wachstum an den Börsen von rund zehn Prozent. Peter Brezinschek, Chefanalyst der Raiffeisen-Zentralbank (RZB), ist ebenfalls sehr optimistisch: "In den letzten sieben Rezessionen haben die Aktienmärkte die wirtschaftliche Erholung immer sieben bis neun Monate davor vorweggenommen. Damit deckt sich die Entwicklung an den Börsen jetzt mit den Prognosen der Wirtschaftsforscher." Brezinschek rät, im Moment nur einen Teil des zu investierendes Geldes sofort in Aktien zu investieren. "Es wird im kommenden Jahr auch weiter noch zu Enttäuschungen kommen, Unternehmensgewinne könnten noch sinken. Deswegen ist es kurzfristig möglich, dass bei dem einen oder anderen Titel auch noch vorübergehende Einbrüche von 20 bis 25 Prozent zu beobachten sind." Diese Einbrüche könnten dann zu weiteren Käufen ausgenützt werden. Die RZB rät, vor allem auf ausgewählte Technologiewerte wie etwa Nokia, aber auch auf geprügelte Papiere wie Yahoo zu setzen. Eine Renaissance der New Economy werde dennoch nur begrenzt stattfinden: "Kursniveaus wie etwa noch vor einem Jahr oder gar All-Time-Highs sind nicht zu erwarten", so Brezinschek. Die weltweiten Tiefstände an den Börsen, wie sie am 21. September in Folge der Terroranschläge erreicht wurden, werde man aber nicht mehr sehen, so der RZB-Chefanalyst. Erste-Bank-Chefanalyst Friedrich Mostböck setzt laut APA vor allem auf europäische Aktien. Wenn man die Bewertungen der Märkte im historischen Vergleich des Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) betrachte, erschienen US-Aktien wesentlich teurer, meint er. Während das Markt-KGV in Europa sich mit einem Wert von knapp unter 16 im historischen Schnitt der 90er-Jahre bewege, werden laut Möstböck die US-Märkte mit einem KGV von etwas über 30 deutlich höher als im historischen Durchschnitt bewertet. Viele Faktoren zeigten, dass der Aufschwung gut abgesichert sei. (Michael Moravec, Der Standard, Printausgabe, 07.12.01)