Rund 106 Jahre ist der Reifenhersteller Semperit alt geworden. Ein 107. Jahr wird es zumindest für die Produktionsstätten in Österreich nicht mehr geben, hat der deutsche Eigentümer, der Continental-Konzern, beschlossen. Das ist traurig, war aber absehbar. Schlimm ist die Lage vor allem für die fast 1300 Mitarbeiter, die ihre Jobs verlieren werden. Traiskirchen leidet bereits jetzt unter hoher Arbeitslosigkeit. Schlimm sind aber auch die Reaktionen von Politikern und Gewerkschaftern, die vor allem Emotionen schüren. Dabei ist es spätestens seit der Ostöffnung zu Beginn der 90er-Jahre klar, dass simple Produktionsvorgänge am Laufband in den Osten abwandern, um Lohnkosten zu sparen. Wer deswegen den Continental-Konzern kritisiert, der muss einen Schritt weiter gehen und auch all jene Konsumenten kritisieren, die preisgünstigeren Produkten den Vorzug geben. Es gehört nicht zu den Aufgaben von Continental, hierzulande wirtschaftsstrukturelle Defizite auszugleichen. Denn Österreich hätte viel überzeugender hochwertige Arbeitsplätze etwa im Bereich Forschung und Entwicklung ins Land holen müssen, um die Abwanderung der "billigen" Jobs auszugleichen. Dies geschieht nur zögerlich, weil die Anreize fehlen. Der US-Pharmakonzern Baxter ist eher die Ausnahme: Er will bei Krems ein Werk gründen und schafft damit auch Hunderte hochwertige Arbeitsplätze, die in Österreich bleiben. Statt solche Unternehmen gezielt anzulocken, montierten Wirtschaftsminister medienwirksam Semperit-Reifen auf ihre Autos, und Steinzeit-Gewerkschafter wie Fritz Verzetnitsch oder Renate Csörgits fordern einen Gipfel mit dem Kanzler, um Continental noch umzustimmen. Sie haben nichts begriffen. Der Unmut der Belegschaft sollte sich eher gegen sie richten. (Michael Moravec, Der Standard, Printausgabe, 07.12.01)