Peter Olson ist der mächtigste Mann im globalen Büchergeschäft. Als Chef der Bertelsmann-Verlagsgruppe Random House leitet er die publizistischen Geschicke von zahlreichen Nobelpreis-Literaten und führt jährlich mehr als 100 Titel allein in die US-Bestsellerlisten. Peer Teuwsen sprach mit ihm über die Macht und das Lesen, über europäische Geschäftskultur und eigene Schreibpläne. Die Macht kommt auf leisen Sohlen und mit einer großen braunen Aktentasche direkt von New York ins Berliner Luxushotel Grand Hyatt. Sie lächelt und hat einen angenehm warmen, festen Händedruck. Ihre Stimme ist von einem leisen, tiefen Bass, ihre Gestalt hager und in edles Tuch gehüllt. Irritierend sind nur die zwei silbernen Manschettenknöpfe, die je einen Löwenkopf zeigen. Die Macht ist 51 Jahre alt, heißt Peter Olson und ist seit drei Jahren Chef von Random House, der größten Verlagsgruppe der Welt. 1998 kaufte der Kommunikationsmulti Bertelsmann "das leuchtende Kronjuwel des amerikanischen Verlagsgeschäftes" ( New York Times ) für 1,6 Milliarden Dollar. Seitdem herrscht Olson, 51, über 6000 Mitarbeiter in über 100 Verlagen, die auf vier Kontinente verteilt sind. Random House machte letztes Jahr einen Umsatz von 2,1 Milliarden EURO und hatte ein Bereichsergebnis von 180 Millionen EURO. Olson hatte mittels radikaler Maßnahmen wie Entlassungen und Konzentrierung der Infrastrukturen innerhalb von drei Jahren die Umsatzrendite auf 8,7 Prozent hochgewuchtet. Der Amerikaner, der in Harvard Geschichte, Jura und Wirtschaft sowie in München Germanistik studiert hat, sitzt zudem seit 1. April dieses Jahres im Vorstand von Bertelsmann. Er spricht fließend Deutsch und Russisch und liest laut eigener Auskunft bis zu 100 Bücher pro Jahr, die meisten in der Originalsprache. Sein Lieblingsbuch ist der Roman Hiob von Joseph Roth, die Geschichte des Untergangs eines Menschen. Er ist seit 8. September mit Candice Marie Carpenter verheiratet, Mitbegründerin von
iVillage.com
, einem New Yorker Internetportal für Frauen. Davor war er 26 Jahre mit einer Russin verheiratet, mit der er drei eigene und zwei Adoptivkinder hat. STANDARD: Herr Olson, sind Sie Teufel und Gott in Personalunion? Olson : Wer sagt das? STANDARD: Nun, die einen fürchten, Sie würden Kraft Ihrer großen Macht das Buchgeschäft in den Abgrund der Mittelmäßigkeit reiten. Und die andern atmen auf: Endlich mal einer, der Macht hat und auch liest. Wie lebt es sich in diesem Zwiespalt? Olson : Dass ich Leser bin, das stimmt nach wie vor. Die Vorstellung aber, dass ein großer Verlagsverbund wie Random House zwangsläufig einen niedrigeren Standard hat als kleinere Verlage, widerspricht unserer ganzen Organisation und Philosophie. Im Gegenteil, wir legen sehr viel Wert darauf, dass wir multilokal agieren, dass wir uns in jedem Land anders verhalten, weil dort die Welt eine andere ist. Und wir legen großen Wert auf die verlegerische Autonomie und die Qualität der Programme. Wir haben mehr Titel als früher, mehr Literaturpreise, mehr Erstromane. In den USA haben wir im letzten Jahr 60 Erstlinge verlegt, eine noch nie da gewesene Zahl. Von Mittelmäßigkeit kann also keine Rede sein. STANDARD: Aber es waren Sie, der gesagt hat, er wolle von jedem seiner Verlage 10 bis 15 Prozent Umsatzrendite. Im deutschsprachigen Raum sind 3 bis 4 Prozent üblich. Es gab einen Aufschrei. Finden Sie, es sei eine deutsche Diskussion, dass man immer gleich Angst hat, jetzt komme der globalisierte Riese aus den USA mit der Dampfwalze und mache alles platt? Olson : Jeder Verleger hat am Anfang des Geschäftsjahres Angst, wenn wir von über 10 Prozent Umsatzrendite reden in der Planung. Dann stellt sich heraus, dass dies unter gewissen Bedingungen machbar ist. In den USA und Großbritannien sind wir ja schon über 10 Prozent. Wichtig ist, dass man langfristig - und das ist ein Geschäft, wo man langfristig denken und handeln muss - einen Sockel hat, und das ist der Katalog aus früheren Jahren, die Backlist. Und wenn die Infrastrukturkosten stimmen, dann sind 10 Prozent nicht nur nicht unrealistisch, sondern ein Ziel, das wir Jahr für Jahr erreichen und übertreffen werden - ohne negativen Einfluss auf die Qualität der Programme. Dass in Deutschland diese Klarheit der Ziele als etwas Neues wirkt, das Angst macht, kann ich verstehen. Wir haben in Deutschland, vor allem im Ratgeber-Bereich, auch noch einiges zu tun. Aber wir werden es auch hier schaffen. STANDARD: Sie sagen, Sie würden keinen Einfluss nehmen auf die Programme Ihrer Verlage. Da Sie aber ein engagierter Leser sind, muss es Ihnen doch weh tun, wenn ein gutes Buch nicht bei Ihnen erscheint. Nehmen Sie also doch Einfluss? Olson : Wir werden in diesem Jahr etwa 8000 Neuerscheinungen herausbringen. Ich gestehe, dass ich nur einen Bruchteil davon lesen werde. Und es gibt viele interessante Bücher, die nicht bei uns erscheinen. Das ist nicht schlecht. Ich lese viele Bücher von anderen Verlagen. Aber es ist schon eine große Freude, wenn etwas, das ich gelesen habe, bei uns erscheint. Zum Beispiel kommt jetzt gerade Austerlitz von W.G. Seebald in englischer Sprache bei Random House heraus. Ich finde es schön, dass dieser faszinierende Autor bei uns erscheint, aber Einfluss habe ich nicht. Die Verleger nehmen zu Recht überhaupt keine Rücksicht auf meinen Büchergeschmack. Ich habe gelernt, mein Urteil für mich zu behalten. STANDARD: Was sehr schwer war? Olson : Natürlich. Wenn man Leser ist, möchte man über Bücher reden. Ich tue das auch, aber nicht als Chef von Random House, sondern im Austausch zwischen Lesenden. STANDARD: Sie lesen nicht nur, Sie schreiben auch. Olson : Es wäre übertrieben zu sagen, ich schreibe. Ich habe aber das Ziel, später wirklich mal zu schreiben. Meine Frau hat gerade ein Buch geschrieben. Wir überlegen uns, ob wir in den nächsten Monaten gemeinsam einen Roman schreiben wollen. STANDARD: Das ist aber ein Test für eine so junge Beziehung. Olson : Das wird sich zeigen. Die ersten 20 Seiten haben jedenfalls viel Spaß gemacht. STANDARD: Mit Schriftstellern haben Sie ja auch zu tun, muss doch ein Autorenvertrag ab zehn Millionen Dollar über Ihren Schreibtisch. Olson : Diese Zahl haben Sie genannt. Ich muss auch über niedrigere Zahlen informiert werden. Was stimmt, ist, dass ich bis zu zehn Millionen selbstständig entscheiden kann. STANDARD: Aber diese Beträge kommen nicht so oft vor? Olson : Nein, das Telefon klingelt nicht so häufig. Das ist auch nicht der Schwerpunkt unserer Arbeit, der liegt bei der Entwicklung neuer Autoren. Meine Hauptaufgabe ist es, ein Team der talentiertesten Verleger der Welt zusammenzubringen und ihnen so viel Freiraum wie möglich zu geben. STANDARD: Was ist ein gutes Buch? Olson : Der neuste Roman des englischen Schriftstellers Ian McEwan zum Beispiel. Das Buch, das Atonement (Sühne, Buße) heißt, ist brillant geschrieben und mit einer Einsicht in die Dinge, die einen zum Nachdenken bringt. Meine Frau und ich haben es gemeinsam in den Flitterwochen in Marokko gelesen. Es war ein Erlebnis. Ein Buch, wo man etwas mitnimmt, das man so nicht gedacht, so nicht gesehen hat. McEwan kann auf einmalige Weise in die Gedankenwelt eines 13-jährigen Kindes hineinkriechen. STANDARD: Sie werden häufig als eiskalter Manager beschrieben. Olson : Ich glaube, ich bin ein Manager, der sehr klare Ziele hat und sehr konsequent ist. Diese Konsequenz kann mir als Härte und Emotionslosigkeit ausgelegt werden. Ich bin nicht emotionslos, aber auch ein sehr sachlicher Mensch. Diese Kombination kann für gewisse Menschen eiskalt erscheinen. STANDARD: Sie haben aber mal gesagt, als Sie den Großverlag Bantam Doubleday Dell sanieren mussten: "Ich habe nach dem Motto geschossen: Selbst wenn es einen Unschuldigen trifft, ist es auch nicht schade. Denn es musste sich etwas bewegen." Das sind doch die Sätze eines scharfen Hundes. Olson : Da bin ich übers Ziel hinausgeschossen. Es geht darum, dass man für den langfristigen Erfolg konsequent sein muss. Man muss den Mitarbeitern die Freiräume geben, aber wenn sie auf Dauer nicht erfolgreich sind, muss man die Konsequenzen ziehen und sie entlassen. Aber man darf nicht brutal und gnadenlos, sondern man muss zielgerichtet sein. STANDARD: Haben Sie die Macht gesucht? Olson : Nicht bewusst. Aber vielleicht hat sie mich doch angezogen. Es macht mir jedenfalls mehr Spaß, als Jurist oder Bankangestellter zu sein. Etwas zu gestalten, das ist mein Antrieb. STANDARD: Die Macht hat also Sie gesucht? Olson : Das klingt sehr fatalistisch. STANDARD: Haben Sie nicht fatalistische Züge? Olson : Die hat jeder. Ich bin ein Mensch, der sehr viel Fortune hatte. Wenn ich Gesprächsrunden mit Mitarbeitern mache, dann nenne ich immer die zwei Faktoren, die mich in meiner Karriere am meisten beeinflusst haben. Das war erstens die Tatsache, dass meine Mutter mich zum Lesen gebracht hat, und zweitens dass ich Glück gehabt habe. STANDARD: Aber fürs Glück muss man arbeiten. Olson : Das tun viele, und sie haben doch kein Glück. STANDARD: Gleichzeitig haben Sie eine Faszination für die Niederlage. Olson : Schwierigkeiten faszinieren mich. Wenn alles glatt läuft, ist das Gespenst der Langeweile da. STANDARD: Das fürchten Sie? Olson : Langeweile kann man mit dem Tod gleichsetzen. Ich möchte aber ein interessantes Leben haben. STANDARD: Was war Ihre schlimmste Niederlage? Olson : Die Trennung von meinen Kindern, nachdem ich mich letzten Frühling von meiner ersten Frau scheiden lassen musste. Das war das Schwierigste, was mir im Leben passiert ist. Ich würde mich nämlich in erster Linie nicht als Manager, sondern als Familienmensch bezeichnen. STANDARD: Sie waren 26 Jahre verheiratet. Olson : Ja. STANDARD: Gut, lassen wir das. Warum lesen Sie so viel? Eigentlich müsste man doch nur die Bibel, Shakespeare und Goethe lesen: Da steht doch schon alles drin. Olson : Lesen ist vor allem Unterhaltung, das darf man nie unterschätzen. Es ist aber auch ein Stück Eskapismus, die Flucht vor dem schwierigen Alltag. Dass ich lese, um zu lernen, das ist bei mir zweitrangig. Als ich in der Schule einen Abenteuerroman gelesen habe, sagte mir eine Lehrerin in der Pause: ,Ich bin sehr enttäuscht von dir. Du könntest wirklich ernsthaftere Sachen aus der Weltliteratur lesen.' Ich dachte damals, das sei eigentlich unfair, Hauptsache, ich lese und habe Spaß daran. Ich lese auch heute noch Abenteuerromane, warum nicht? STANDARD: Nochmals: Warum lesen Sie so viel, nämlich etwa 100 Bücher pro Jahr? Ein Kritiker liest etwa 75. Olson : Ich lese auch nicht schnell, sondern gründlich. Ich lese zulasten von anderen Aktivitäten, ich sehe weniger fern, gehe selten ins Kino. Vielleicht bin ich dadurch etwas einseitiger gebildet als andere Menschen, aber es ist eine Leidenschaft. STANDARD: Sind Sie ein Mensch, bei dem das meiste im Kopf passiert? Olson : Früher hätte ich Ja gesagt. Heute glaube ich das nicht mehr. Ich wollte immer der Iwan aus den Brüdern Karamasov sein, ein introvertierter Geistesmensch. Heute ist das anders. STANDARD: Was ist da passiert? Olson : Die reine Intellektualität ist auch eine Flucht vor der Realität des Lebens. Als Teenager mit den üblichen Minderwertigkeitskomplexen und der Unzufriedenheit hatte die intellektuelle Welt für mich etwas Unbelastetes, etwas Reines. In der letzten Zeit habe ich gelernt, dass meine intellektuellen von meinen emotionalen Bedürfnissen nicht unbeeinflusst sind. Ich war immer stolz, Zyniker und Atheist zu sein. Jetzt bin ich nicht mehr Atheist. STANDARD: Aber Zyniker? Olson : Nein, das möchte ich auch nicht mehr sein. Ein Zyniker ist doch ein enttäuschter Romantiker. STANDARD: Und Sie sind Romantiker? Olson : Ja. STANDARD: Das Buch wurde schon x-mal totgesagt. Es gibt es immer noch. Das E-Book hat sich auch nicht durchgesetzt. Wie sehen Sie die Zukunft des Buches? Olson : Die Aussichten für das Buch waren noch nie so gut wie heute. Wir haben heute die Chance, eine größere Vielfalt an Büchern, eine größere Auswahl an Formaten an die Leser zu bringen. Die Lesenden sind ja überall eine Minderheit. Jetzt haben wir die Chance, durch die neuen Medien und neue Herstellungsverfahren den Zugang zu den Büchern erheblich zu verbessern. Jeder Leser erlebt doch heute, dass er nicht das Buch findet, das er gesucht hat. Wir sind daran, diese Bedürfnisse zu befriedigen. STANDARD: Sie denken daran, dass einer in die Buchhandlung gehen und sich sein Buch gleich dort herstellen lassen kann. Olson : Ja, oder wir liefern es innerhalb eines Tages nach. Der Lesende ist immer auf der Suche nach neuen Ideen, Entdeckungen, Entspannungsmöglichkeiten - der liest nicht nur die Bibel, Shakespeare und Goethe, wie Sie meinen. Es ist jetzt die beste Zeit, überhaupt ins Verlagsgeschäft zu kommen. Wir haben die Chance, das traditionell Erlernte mit den neuen Technologien zu kombinieren. Das ist einmalig, wenn eine Branche sich so fundamental neu erfindet. Aber das ist auch meine größte Sorge: Können wir noch attraktiv bleiben für talentierte junge Menschen? STANDARD: Warum? Olson : Weil das Verlagsgeschäft nicht das Erste ist, was einem als Berufsmöglichkeit einfällt. Ich wäre als Kind in Chicago nie auf die Idee gekommen, dass man seinen Lebensunterhalt mit dem Verkauf von Büchern verdienen kann. Wir müssen junge Menschen überzeugen, dass dies keine verkrustete Branche ist, dass man sich hier schnell und kreativ entwickeln kann. Da haben wir noch viel zu tun. Unser Betriebsvermögen sind unsere Autoren und unsere Mitarbeiter, alles andere sind letztlich unwichtige Zahlen. Deswegen sind wir so abhängig von der Qualität der Mitarbeiter, die in einer Branche arbeiten, wo sie nicht so viel verdienen können wie bei einer Beratungsfirma. STANDARD: Sie sind durch Umwege zu diesem Beruf gekommen. Waren diese Umwege nötig? Olson : Ich bin über den Umweg der Finanzwelt gekommen, was bei vielen Verlegern immer noch ein süffisantes Lächeln hervorruft. War das notwendig? Ich weiß es nicht. Ich bin viele Umwege gegangen. Ich würde heute vieles anders machen in meinem Leben, wenn ich könnte. Pressesprecher Theo Schäfer : Umwege können auch lohnend sein. Olson : Theo, das würde ich als Bergwanderer abstreiten. Ich will zielgerichtet nach oben. Schäfer : Gut, ich bin ein Flachwanderer, du bist der Bergwanderer. Teuwsen : Hatten Sie schon als Kind eine Vorstellung, was Sie mit Ihrem Leben machen wollten? Olson : Nein, erst heute. Ich wusste, was ich machen wollte: etwas Interessantes, etwas Internationales, das war aber sehr vage. Nein, ich habe das nie so geplant. STANDARD: Und was machen Sie in den neun Jahren, die Ihnen bleiben? Olson : Ich würde Random House gerne zu etwas noch nie Dagewesenem machen in der Verlagswelt. Und zwar zu einem Verbund von gut vernetzten, sehr erfolgreichen, sehr selbstständigen Verlagseinheiten in den wichtigen Sprachräumen. Mit einer effizienten Infrastruktur und einer kreativen Autonomie, das heißt einer Unternehmensphilosophie, die weiterlebt, die eine Eigendynamik bekommt, die eine so starke magnetische Wirkung auf Autoren hat, dass sie weiter organisch wachsen wird. Daran will ich die nächsten neun Jahre arbeiten. Und nicht den Fehler machen, der so hervorragend im Film "Der blaue Engel" gezeigt wird: wie der verrückte pensionierte Gymnasialprofessor sich an seinen Schreibtisch klammert. Wenn es so weit ist, muss man bereit sein aufzustehen und die Arbeit anderen zu überlassen. STANDARD: Das können viele Ihrer Kollegen nicht. Olson : Man tut dem Unternehmen und den Kollegen Unrecht, wenn man sich nicht daran macht, die eigene Nachfolge zu regeln. STANDARD: Aber Sie denken nicht jetzt schon an Ihre Nachfolge? Olson : Doch. Ich denke daran, was ich machen muss, um entbehrlich zu werden. STANDARD: Sie sind der erste Amerikaner im Vorstand von Bertelsmann. Was haben Sie vorgefunden, und was haben Sie verändert? Olson : Für einen Amerikaner ist ein Vorstand ein Instrument, das er nicht kennt. Bei uns sind die Firmen eher pyramidenhaft organisiert und haben keine Entscheidungsstrukturen, wo echte Streitkultur herrscht. Bertelsmann wird internationaler, es ist spannend, dabei zu sein, wenn sich ein einst sehr deutsches Medienunternehmen fundamental wandelt. STANDARD: Was ist deutsch? Olson : Die deutsche Geschichte zeugt von der Unmöglichkeit, diesen Begriff in eine politische oder philosophische Einheit einzubringen. Ich bin mütterlicherseits schwäbischer Abstammung. STANDARD: Was ist denn Ihre deutsche Seite? Olson : Die Mitglieder der Familie Schnepf, aus der meine Mutter stammt, sind bodenständige Menschen mit festen Werten, Arbeitsmoral, Familie, Selbstdisziplin. STANDARD: Das kennen Sie auch? Olson : Das würde meine Mutter sehr gut beschreiben - verbunden mit einer rastlosen intellektuellen Neugierde. Das Leben auf dem Bauernhof hat ihr nie gereicht. STANDARD: Das ist aber auch ein Selbstporträt von Ihnen? Olson : Ja. Kinder brauchen manchmal Jahrzehnte, um sagen zu können, dass sie viel mit ihren Eltern gemein haben. Ich kann das heute. STANDARD: Sie sind in einer sehr langweiligen Gegend aufgewachsen. Olson : Die langweiligste Gegend, die ich je gesehen habe. Der Mittlere Westen, Mitte des letzten Jahrhunderts, Mittelschicht. Das war der Inbegriff der Mittelmäßigkeit. Und ich wollte, im Gegensatz zu meinem Pressesprecher, kein Flachwanderer werden. STANDARD: Da wollten Sie immer weg? Olson : Klar. Ich habe eine öffentliche Schule besucht, wo nur eines zählte: populär zu sein. Intellektualität war etwas sehr Negatives. STANDARD: Dann waren Sie ein Außenseiter? Olson : Ja. STANDARD: Und heute sind Sie nur noch ein Außenseiter im Bertelsmann-Vorstand? Pressesprecher: Absolut!

Olson: Ich empfinde mich als New Yorker, bin glücklich in Familie und Arbeit. Wenn man sich dazu bekennen kann, was man ist, ja, dann bin ich nicht mehr der Außenseiter.
© 2001 Tagesanzeiger Magazin Zürich
(DER STANDARD, Print-Ausgabe, 7./8./9. 12. 2001)