Zeit
Kontroverse um Museum über sowjetisches Lager im früheren KZ Sachsenhausen
"Die Ausstellung verharmlost das Leiden der dort unschuldig Inhaftierten"
Oranienburg - Mehr als 50 Jahre nach der Schließung
des sowjetischen Speziallagers Nr. 7 auf dem Gelände des vorherigen
NS-Konzentrationslagers Sachsenhausen erinnert ein Museum an das
Schicksal der rund 60.000 hier zwischen 1945 und 1950 inhaftierten
Menschen. "Die Ausstellung will die Würde der Opfer
wiederherstellen", sagte die Präsidentin des
Bundesverfassungsgerichts, Jutta Limbach, zur Eröffnung am Sonntag.
In der DDR seien die sowjetischen Lager verschwiegen, in der
Bundesrepublik vergessen worden.
Sachsenhausen war als größtes von insgesamt zehn Speziallagern in
Deutschland nach Kriegsende von der sowjetischen Besatzungsmacht
eingerichtet wurden. "Von den 60.000 Häftlingen war etwa die Hälfte
auf Grund alliierter Festlegungen interniert", sagte der Leiter der
Gedenkstätte, Günter Morsch. Die meisten dieser 30.000 Häftlinge
seien niedrige NS-Funktionsträger oder Mitläufer gewesen. Dazu kamen
rund 16.000 von Sowjetischen Militärtribunalen (SMT) Verurteilte und
7.500 Ausländer.
"Keine Relativierung"
"Gerade die SMT-Verurteilten waren meist keine früheren Nazis",
erklärte Morsch. Viele seien der Besatzungsmacht als politisch
unliebsam aufgefallen, etwa weil sie gegen die Zwangsvereinigung von
SPD und KPD eingetreten waren. Die Ausstellung sei der Versuch, die
Unterschiede zwischen den Häftlingen ebenso wie das Leid unter den
Haftbedingungen zu dokumentieren. Vorwürfe des russischen
Außenministeriums, wonach die neue Ausstellung die vorherigen
NS-Verbrechen in Sachsenhausen relativiert, wies der Historiker
zurück.
Einige Opfer des Stalinismus kritisierten die Lage des neuen
Museums. "Hinter der Lagermauer ist das Museum von der Gedenkstätte
aus gar nicht zu sehen", sagte die Vorsitzende der
Arbeitsgemeinschaft Lager Sachsenhausen, Gisela Gneist. Sie beklagte,
dass die KZ-Gedenkstätte bisher auch keine Gedenktafel für die Opfer
des Speziallagers genehmigt habe.
Zudem gebe es Unwahrheiten bei der Darstellung des Lageralltags.
"Wenn es heißt, ab 1948 durften die Häftlinge Sport treiben, dann ist
das eine Lüge. Dazu waren die Leute gar nicht in der Lage", erklärte
Gneist, die zwischen 1945 und 1950 selbst in Sachsenhausen inhaftiert
war.
Massensterben
Als Hauptmerkmal der Speziallager nannte Morsch das Massensterben.
Allein in Sachsenhausen verloren 12.000 Häftlinge ihr Leben. Dies sei
eine Gemeinsamkeit mit den Konzentrationslagern der
Nationalsozialisten. Morsch wies aber darauf hin, dass die Häftlinge
in den sowjetischen Lagern nicht planmäßig mittels Terror ermordet
wurden, sondern meist an Hunger oder Krankheiten starben.
In dem einstöckigen, aus schwarzem Beton errichteten Museumsneubau
sind Fotos, Dokumente, und persönliche Dinge aus dem Nachlass
ehemaliger Häftlinge zu sehen. In 27 einzelnen Biografien wird
dargestellt, dass die sowjetische Besatzungsmacht aus verschiedensten
Gründen Menschen in ihrem Lager inhaftierte, das etwa 15 Prozent der
Fläche des vorherigen KZ umfasste. Kriegsverbrecher befanden sich
darunter ebenso wie politische Gegner der kommunistischen
Besatzungsmacht.
Hintergrund zur Ausstellung
Der Museumsneubau und die Dauerausstellung haben zusammen 5,4
Millionen Mark gekostet. Die Geschichte des Lagers wird mit Hilfe von
700 Exponaten auf mehr als 350 Quadratmetern Ausstellungsfläche
erzählt. Neben mehreren Multimedia-Installationen gehören auch 15
Originalbaracken zu dem Museum. Zudem vermitteln 28 Biografien
früherer Gefangener - unter ihnen wegen Widerstandes gegen die
sowjetische Besatzungsmacht verurteilte frühere Wehrmacht-Offiziere,
einstige NS-Funktionäre sowie weißrussische Emigranten - einen
Eindruck von der Lagergesellschaft.
Unter den Ausstellungsstücken sind eine Zuckerdose mit dem
eingeritzen Hilferuf "Wir haben Hunger", eine Stoffkatze für ein im
Lager geborenes Mädchen, eine erschütternde letzte Nachricht an die
Mutter bei der Festnahme und ein selbst gebasteltes Schachspiel. Das
russische Staatsarchiv stellte Totenbücher, Lagerjournale und das
Lageralbum des Speziallagers zur Verfügung.(APA/AP/dpa)