Parlament
Sicherheitsdoktrin
Der Entschließungsantrag im Wortlaut
Die Bundesregierung wird ersucht, die österreichische
Sicherheitspolitik insbesondere nach folgenden Grundsätzen zu
gestalten:Allgemeine Empfehlungen
Österreichs umfassende Sicherheitspolitik soll nach folgenden
allgemeinen Grundsätzen gestaltet werden:
1. Die österreichische Bevölkerung soll über die Sicherheitslage im
In- und Ausland umfassend und laufend informiert werden. Dies ist
eine wesentliche Voraussetzung, dass sich ein breites Bewusstsein
über Notwendigkeiten in Sicherheitsbelangen entwickeln und erhalten
kann.
2. Ein nationaler Sicherheitsrat soll die Bundesregierung und die
einzelnen Bundesminister in allen grundsätzlichen Angelegenheiten der
Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik beraten. Zur
Unterstützung des nationalen Sicherheitsrates soll ein Sekretariat
zusammen mit Verbindungspersonen in den hauptbetroffenen Ressorts
diese Angelegenheiten evaluieren und beraten sowie die Sitzungen des
Rates vorbereiten.
3. Die bereits eingeleitete europäische Kooperation beim
nachrichtendienstlichen Informationsaustausch soll intensiviert
werden. Gleichzeitig ist zum Schutz der Privatsphäre der Bürger und
der demokratischen Errungenschaften und Rechte eine effektive
parlamentarische Kontrolle sicher zu stellen.
4. Weiterentwicklung der Umfassenden Landesverteidigung zu einem
System der umfassenden Sicherheitsvorsorge durch Ausrichtung auf die
neuen Risiken und Bedrohungen und Anpassung der gesetzlichen
Bestimmungen.
5. Die Katastrophenhilfe im internationalen Rahmen hat für Österreich
eine historisch gewachsene Bedeutung. Österreich hat dabei eine
international respektierte Vorreiterrolle eingenommen und sollte
diese weiter ausbauen. Zur Verbesserung der Zusammenarbeitsfähigkeit
zwischen den nationalen und internationalen Hilfs- und
Einsatzorganisationen soll ein integriertes und abgestimmtes
Ausbildungsprogramm geschaffen werden, das auf bestehende zivile und
militärische Ausbildungseinrichtungen aufbaut.
6. Der Bereich der sicherheitspolitischen Forschung ist auszubauen,
um ein umfassendes Bild über sicherheits- und verteidigungspolitische
Belange zu erhalten. Dazu ist insbesondere eine enge Kooperation und
Vernetzung relevanter Organisationen und Institutionen im In- und
Ausland anzustreben.
7. Zur Gewinnung und Vermittlung einer umfassenden
sicherheitspolitischen Expertise ist die Einführung eines
postgradualen strategischen Führungslehrganges für
Entscheidungsträger in Politik, Wirtschaft, Verwaltung und Militär
einzuführen.
8. Österreich soll Möglichkeiten für regionale sicherheitspolitische
Kooperationen mit Nachbarländern und anderen interessierten Staaten
nutzen.
9. Die Verfügbarkeit lebensnotweniger Ressourcen (wie z.B. Ernährung,
Energie und Rohstoffe) sowie der Schutz strategischer Infrastruktur
(wie z.B. Kommunikation und Verkehr) soll sichergestellt werden.
Außenpolitische Aspekte der Sicherheitspolitik
Österreichs Außen- und Sicherheitspolitik soll nach folgenden
Grundsätzen gestaltet werden:
1. Konsequentes Eintreten für die weltweite Achtung der
Menschenrechte und des Völkerrechtes.
2. Aktive Mitwirkung an internationalen Bemühungen um
Rüstungskontrolle und Abrüstung, insbesondere zur Verhinderung der
Weiterverbreitung von Massenvernichtungswaffen.
3. Leistung eines angemessenen Beitrags zu internationalen Bemühungen
um Friedenssicherung, Konfliktverhütung, Krisenbewältigung und
Krisennachsorge.
4. Fortsetzung des traditionellen österreichischen Engagements in
multilateralen Institutionen, wie UNO, UN-Spezialorganisationen,
OSZE, NATO-PfP/EAPC und Europarat.
5. Unterstützung der Länder der Dritten Welt bei ihren Bemühungen um
wirtschaftliche, soziale, demokratische und ökologische Entwicklung.
6. Verbesserung des internationalen Umweltschutzes (u.a. Rio-
Prozess).
7. Wirksame Wahrnehmung der österreichischen Interessen auf
bilateraler und multilateraler Ebene sowie im Rahmen der EU.
8. Unterstützung einer EU-Reform, insbesondere zur Weiterentwicklung
der GASP/ESVP sowie zur Umsetzung der sicherheitspolitischen
Interessen der Union.
9. Laufender Interessensausgleich mit den EU-Partnern zur
bestmöglichen Durchsetzung österreichischer Anliegen innerhalb der
EU. Entwicklung einer Partnerschaft mit gleichgesinnten Staaten, die
durch gemeinsame regionale Interessen verbunden sind (Konzept der
Regionalen Partnerschaft).
10. Pflege bilateraler Beziehungen als unverzichtbare Aufgabe der
österreichischen Außenpolitik, besonders auch im Hinblick auf die
Förderung der wirtschaftlichen Interessen Österreichs.
11. Aktive und solidarische Mitwirkung an der ESVP, die zur Zeit das
Ziel verfolgt, die EU mit den nötigen Mitteln und Fähigkeiten sowie
mit wirksamen Entscheidungsstrukturen für ziviles und militärisches
Krisenmanagement auszustatten. Österreich wird einen angemessenen
Beitrag zu den militärischen Planungs- und Fähigkeitszielen der ESVP
in entsprechender Quantität und Qualität leisten.
12. Prioritäre Unterstützung allfälliger künftiger Bemühungen, die in
Artikel 17 des EU-Vertrages aufgezeigte Möglichkeit einer gemeinsamen
europäischen Verteidigung zu verwirklichen.
13. Konsequente Weiterentwicklung der Beziehungen Österreichs zur
NATO im Rahmen eines maßgeschneiderten Dialogs. Ausschöpfung der
Kooperations- und Dialogmöglichkeiten, die im Rahmen der
Partnerschaft für den Frieden geboten werden. Eine enge
Zusammenarbeit zwischen EU und NATO im Sinne einer strategischen
Partnerschaft zwischen beiden Organisationen wird als Voraussetzung
für einen Erfolg der ESVP angesehen.
14. Der Erweiterungsprozess der NATO wird als ein Beitrag zur
Förderung von Sicherheit und Stabilität in Europa begrüßt und liegt
auch im sicherheitspolitischen Interesse Österreichs. Der
sicherheits- und verteidigungspolitische Nutzen einer NATO-
Mitgliedschaft wird von Österreich im Lichte der
sicherheitspolitischen Entwicklungen laufend beurteilt und die
Beitrittsoption im Auge behalten. Ein Beitritt zur NATO würde nur mit
Zustimmung der Bevölkerung (Volksabstimmung) erfolgen.
Verteidigungspolitik
Österreichs Verteidigungspolitik soll nach folgenden Grundsätzen
gestaltet werden:
1. Gewährleistung einer militärischen Verteidigungsfähigkeit, die
sich aus der konkreten militärstrategischen Lage ableitet. Ein
existenzbedrohender konventioneller militärischer Angriff gegen
Österreich ist derzeit nicht abzusehen, während die Fähigkeit
punktuellen Angriffen entgegenzutreten ständig zu gewährleisten ist.
Dazu gehört die Bereithaltung und Weiterentwicklung aller
militärischen Kernfunktionen auf hohem technologischen Niveau in
einem operativ durchsetzungsfähigen Kräfteumfang. Bei einer künftigen
Änderung der sicherheitspolitischen Lage soll mit diesem Potenzial
die Aufwuchsfähigkeit der Streitkräfte sichergestellt werden.
Sicherstellung einer ständigen Luftraumüberwachung und
Luftraumsicherung im Anlassfall, der Abwehr subkonventioneller
Angriffe sowie allfälliger konventioneller Bedrohungen.
2. Entwicklung und Erhaltung der Fähigkeit zur Teilnahme an einer
gemeinsamen Verteidigung in adäquater Stärke, das ist aus heutiger
Sicht der Umfang eines Divisionsäquivalents.
3. Befähigung des Bundesheeres zur Teilnahme am gesamten Spektrum der
Petersbergaufgaben in multinationalem Rahmen bis zum Umfang einer
Brigade bzw. eines Brigadeäquivalents.
4. Sicherstellung eines Höchstmaßes an Schutz für Gesundheit und
Leben der Truppen und einzelner Soldaten.
5. Herstellung der Interoperabilität für die Durchführung
friedensunterstützender Einsätze im Ausland sowie zur Verteidigung
Österreichs.
6. Die derzeitigen Rahmenbedingungen erfordern die Abdeckung des
gesamten militärischen Aufgabenspektrums, was personell nur durch die
Aufrechterhaltung der allgemeinen Wehrpflicht bewältigt werden kann.
Das Anforderungsprofil erfordert aber eine stufenweise Erhöhung des
Professionalisierungsgrades und des Freiwilligenanteils.
7. Sicherstellung von Kapazitäten für Assistenzeinsätze zur
Hilfeleistung bei Katastrophen, zur Assistenz des BMI im Falle
terroristischer Bedrohungen sowie zur sicherheitspolizeilichen
Grenzüberwachung und zum Objektschutz.
8. Die Zielsetzungen für die Streitkräfte und deren Zielerreichung
sind einem ständigen Überprüfungsprozess zu unterziehen.
9. Österreich soll durch die Möglichkeit von Rüstungskooperationen,
vor allem im Bereich der WEAG, Synergieeffekte erzielen,
Rüstungsbeschaffungen verbilligen und den Zugang zu neuester
Schlüsseltechnologie ermöglichen.
10. Zur Erfüllung der vorgegebenen nationalen und internationalen
Aufgaben sind für das Bundesheer die dafür notwendigen budgetären,
personellen und infrastrukturellen Rahmenbedingungen sicherzustellen.
11. Das BMLV soll alle zwei Jahre ein Weißbuch mit einer
Zehnjahresperspektive herausgeben, in dem unter Bezugnahme auf die
Lage die Aufgabenstellung, der Zustand und die Erfordernisse des ÖBH
dargelegt werden.
12. Das BMLV soll Möglichkeiten zu regionalen Kooperationen zur
Erzielung von Synergien in verschiedenen Bereichen (wie z.B. CENCOOP
oder gemeinsame Rüstungsprojekte etc.) anstreben.
13. Die Kooperationsmöglichkeiten im Rahmen von PfP sollen
ausgeschöpft werden und neben Übungen und Ausbildung auch alle
Aspekte der Forschung, insbesondere der sicherheitspolitischen
Forschung, umfassen.
Innere Sicherheit
Österreichs Politik der inneren Sicherheit soll nach folgenden
Grundsätzen gestaltet werden:
1. Erfüllung von Aufgaben der inneren Sicherheit auf den Grundsätzen
von Freiheit, Demokratie, Achtung der Menschenrechte und
Grundfreiheiten sowie der Rechtstaatlichkeit und unter Bedachtnahme
auf die gesetzliche Kompetenzverteilung.
2. Wahrung und Weiterentwicklung der inneren Sicherheit, die der
Gewährleistung der Funktionsfähigkeit des innerstaatlichen Lebens
sowie der individuellen Sicherheit der Menschen dient.
3. Bekämpfung des internationalen Terrorismus, insbesondere durch
Intensivierung der innerstaatlichen Zusammenarbeit sowie auf
bilateraler und multilateraler Ebene und im Rahmen der EU. Verstärkte
Informationsgewinnung auf nationaler Ebene und Intensivierung des
Austausches von Informationen mit Partnerländern.
4. Bekämpfung der organisierten Kriminalität in all ihren
Ausprägungen (Menschenhandel und Schlepperei, Waffen-, Drogenhandel,
Geldwäsche etc.) sowohl innerstaatlich als auch durch internationale
Zusammenarbeit, insbesondere auch mit mittel- und osteuropäischen
Staaten und mit Russland.
5. Verbesserung der internationalen Zusammenarbeit, insbesondere mit
dem Ziel, der Schlepperei, dem Menschenhandel und der illegalen
Migration vorzubeugen.
6. Bereitstellung von Personal und erforderlicher Technik zur
Terrorismus- und Kriminalitätsbekämpfung sowie zur Grenzsicherung.
7. Sicherstellung des wirksamen Schutzes des österreichischen Teils
der EU-Außengrenze und verstärkte Zusammenarbeit mit den
Nachbarstaaten.
8. Verstärkter Informationsaustausch über Migration auf Ebene der
Europäischen Union und insbesondere auch mit den USA, Kanada,
Australien und Neuseeland.
9. Aktiver Beitrag zur Stärkung der nicht-militärischen Fähigkeiten
der EU zur Konfliktverhütung und Krisenbewältigung sowie Teilnahme an
internationalen Maßnahmen, die diesem Ziel dienen.
10. Bereitstellung der für das internationale zivile Krisenmanagement
notwendigen Kräfte der Exekutive (Polizei, Gendarmerie) nach Maßgabe
der Möglichkeiten, insbesondere der budgetmäßigen Bedeckung,
inklusive der erforderlichen Ausbildung und Rahmenbedingungen für
deren Einsatz sowie von Aus- und Fortbildungsmöglichkeiten für lokale
Polizeikräfte aus Krisenregionen.
11. Vorbereitung, Schulung und gegebenenfalls Entsendung von zivilen
Spezialisten (Verwaltungsbeamte, Richter, Staatsanwälte usw.) im
Rahmen des internationalen zivilen Krisenmanagements zur
Unterstützung der Herstellung rechtsstaatlicher und demokratischer
Verhältnisse.
12. Sicherstellung der Zusammenarbeit aller zuständigen Stellen des
Bundes mit den Katastrophenschutzbehörden der Länder sowie den
Einsatzorganisationen auf der Grundlage bestehender gesetzlicher
Bestimmungen (Staatliches Katastrophenschutzmanagement).
13. Intensivierung und Optimierung der Ausbildung und des
Erfahrungsaustausches auf nationaler und internationaler Ebene,
insbesondere zur Prävention und Bekämpfung des Terrorismus, der
international organisierten Kriminalität und der illegalen Migration
sowie im Hinblick auf den umfassenden Katastrophenschutz.
14. Verstärkte Information der Bevölkerung über Selbstschutzmaßnahmen
und Optimierung der Warnsysteme.
15. Unterstützung der Bestrebungen in der EU zur Verwirklichung einer
gemeinsamen Migrationspolitik unter Wahrung der besonderen nationalen
Interessen der Mitglieder und des Prinzips der Lastenteilung.
Teilstrategien
Die Verwirklichung der österreichischen Sicherheitspolitik im Rahmen
einer umfassenden Sicherheitsvorsorge beruht auf einem systematischen
Zusammenwirken verschiedener Bereiche der Politik auf Basis
entsprechender Teilstrategien.
Der Nationalrat ersucht daher die Bundesregierung, auf Grundlage der
vorliegenden Empfehlungen zur Sicherheits- und Verteidigungspolitik
für alle sicherheitspolitisch relevanten Bereiche Teilstrategien
auszuarbeiten. Die Teilstrategien sollen insbesondere jene Maßnahmen
enthalten, die zur Umsetzung der Empfehlungen erforderlich sind.
Diese Teilstrategien sollen entsprechend den internationalen
Rahmenbedingungen laufend überprüft, koordiniert und gegebenenfalls
angepasst werden.
Die Teilstrategien sollen sich insbesondere auf die Bereiche
Außenpolitik, Verteidigungspolitik sowie Innere Sicherheit beziehen.
Darüber hinaus sollen auch Teilstrategien zu den Bereichen
Wirtschafts-, Landwirtschafts-, Verkehrs-, Infrastruktur- und
Finanzpolitik sowie zur Bildungs- und Informationspolitik
ausgearbeitet werden. (red)