EU
Verhofstadt: EU-Haftbefehl auch ohne Italien vorantreiben
Außenminister Ruggiero droht Berlusconi angeblich mit Rücktritt
Brüssel - Die belgische EU-Ratspräsidentschaft hat
am Samstag angekündigt, die Europäische Union werde wenn nötig auch
ohne die Zustimmung Italiens die Einführung des EU-weiten Haftbefehls
vorantreiben. Zwar hoffe er auf eine Einigung mit Italien vor dem
EU-Gipfel in Laeken, sagte der belgische Ministerpräsident Guy
Verhofstadt am Samstag zu Journalisten. Doch wenn es auch in Laeken
zu keiner Verständigung käme, schlage er eine verstärkte
Zusammenarbeit vor. Nach Ansicht Frankreichs kann der EU-weite Haftbefehl auch ohne die Zustimmung Italiens in Kraft treten. Frankreich schließe diese Möglichkeit nicht aus, sagte Außenminister
Hubert Védrine am Sonntag im französischen Rundfunk.
Die EU-Justizminister hatten sich am Donnerstag wegen des
Widerstands Italiens nicht auf den Haftbefehl einigen können, mit dem
die EU-Länder effektiver gegen Terrorismus, schwere Verbrechen und
organisierte Kriminalität vorgehen wollen.
"Wenn wir organisierte Kriminalität und Terrorismus bekämpfen
wollen, dann brauchen wir dieses Instrument (den Haftbefehl), sagte
Verhofstadt. Wenn vor Laeken keine Verständigung erreicht werde, dann
werde er das Thema dort auf die Tagesordnung setzen, sagte der
belgische Ministerpräsident weiter. "Wenn es dann immer noch nicht
möglich ist, mit allen 15 EU-Ländern eine gemeinsame Position zu
finden, dann wäre mein persönlicher Vorschlag, eine verstärkte
Zusammenarbeit zu beginnen."
Im Rahmen der verstärkten Zusammenarbeit können eine Gruppe von
mindestens acht EU-Länder Beschlüsse fassen, die andere
EU-Regierungen nicht mittragen wollen. Verhofstadt soll am Dienstag
nach Rom reisen, um Italiens Ministerpräsidenten Silvio Berlusconi
doch noch zu einer Zustimmung zu bewegen.
32 Kriminalitätsfelder
Der EU-weite Haftbefehl soll in 32 Kriminalitätsfeldern - darunter
Terrorismus, Mord, Betrug, Korruption und Geldwäsche - die EU-weite
Fahndung nach Verdächtigen erleichtern und ihre Überstellung in
andere EU- Länder beschleunigen. Die Staats- und Regierungschefs der
EU hatten die Minister nach den Anschlägen des 11. September
aufgefordert, den Haftbefehl im Dezember vorzulegen.
Am Freitag präsentierte Italien eine Kompromisslösung, derzufolge
für den Haftbefehl ab Jänner 2004 16 Straftaten und bis Ende 2007
alle 32 Delikte gelten würden. Ursprünglich wollte Italien nur sechs
Straftaten gelten lassen, die jedoch Korruption und Betrug nicht
enthalten hätten. Den Kompromissvorschlag lehnten die anderen
EU-Länder ab. "Die Position der anderen 14 Mitgliedsländer ist sehr
klar und zwar von der Art, dass wir eine lange Liste von Straftaten
für den EU-weiten Haftbefehl brauchen", sagte Verhofstadt.
Italien argumentierte, mit dem vorgesehenen Haftbefehl könnten
italienische Bürger in einem anderen EU-Land wegen Delikten angeklagt
werden, die in Italien nicht strafbar seien. Die italienische
Opposition warf Berlusconi indes vor, er versuche, sich selbst vor
möglichen Untersuchungen zu schützen. Berlusconi stand in seiner
Heimat mehrfach wegen Korruptionsermittlungen in der Kritik.
Im Regierungslager drängte Außenminister Renato Ruggiero auf eine
Lösung. "Wenn wir keinen Kompromiss finden, dann wäre es das erste
Mal, das Italien bei einem wichtigen Schritt, dem die restliche EU
bereits zugestimmt hat, isoliert wäre", sagte Ruggiero. Berichten
zufolge erwägt Ruggiero seinen Rücktritt, sollte Berlusconi weiter
die Zustimmung verweigern. (APA)