Es wäre zu einfach, sich auf die Analysten auszureden, die sich doch eigentlich auskennen sollten. Faktum ist: Auch sie wissen oft nicht exakt genug, wie es weitergehen wird. Dass sie überdies von Berufs wegen Optimisten sein müssen, ist klar. Das kommt auch aus dem Mix von Investment-und Kreditbankfunktionen.

Banken und Broker verdienen in erster Linie, wenn Kunden Aktien kaufen, und weniger, wenn sie sich vom Aktienmarkt abwenden. So kommt es, dass bei den Empfehlungen der Banken und Broker fast nur Kauf- oder Halten-Empfehlungen zu finden sind. Verkaufsempfehlungen sind äußerst selten, wenn überhaupt, zu finden. Im Frühjahr 2000, als die US-Wachstumsbörse Nasdaq gerade zusammenbrach, wurden laut First Call gerade einmal 0,8 Prozent der Aktien mit eindeutigen Verkaufsempfehlungen bedacht.

Henry Blodgett, Staranalyst bei Merrill Lynch, einer der wichtigsten US-Brokerfirmen, sah noch im April 2000 das Kursziel der Amazon-Aktie bei 400 Dollar und empfahl den Kauf. Da verwundert es kaum, dass am 31. Oktober vor einer Trattoria in Chicago ein gut gekleideter Mann, der Henry Blodgett verdächtig ähnlich sah, von den Mitgliedern eines Investmentklubs, die 60 Prozent ihres Clubvermögens in Amazon investiert hatten, verprügelt wurde. Dabei wollte das Opfer als Wallstreet-Guru verkleidet auf eine Halloween-Party gehen. Interpretationsfrage

Die meisten Investoren vollziehen bei Aktien-Empfehlungen eine Abwertung. "Strong Buy" werten sie höchstens als Kauftipp, unter "Buy" verstehen sie "Halten" und "Hold" sehen sie als Verkaufshinweis an.

Brigitte Kuras, Analyse-Chefin der RZB, weiß: "Der Investor hat gelernt und kennt die Sprache der Analysten. Aber wir geben grundsätzlich nicht nur eine Empfehlung, sondern begründen sie auch ausführlich. Das braucht man nur genau zu lesen. Die daraus folgende Entscheidung muss jeder Investor für sich selbst treffen." Von den Empfehlungen der RZB sind Austria Tabak, Telekom, Pankl und SBO gut aufgegangen. Nicht so zufrieden ist sie mit Jo-Wood ("wir glauben aber nach wie vor daran") und Wienerberger ("da haben wir die Situation zu optimistisch eingeschätzt"). Alfred Reisenberger, Analyst in der BA/CA-Gruppe, ist mit den Empfehlungen, die sein Haus im Dezember 2000 veröffentlichte, gar nicht unzufrieden. Von den damals fünf Topempfehlungen (Austria Tabak, Böhler, Mayr-Melnhof, SBO und VA Tech) haben die ersten drei während der folgenden Monate das angegebene Kursziel erreicht oder übertroffen. Was macht der Analyst, wenn das Ziel erreicht ist? "Wir bewerten die Situation neu, ändern Einstufung oder Kursziel. Bei VA Tech ist nichts zu beschönigen. Da lag ich falsch." (Nikolaus Dolenz, Der Standard, Printausgabe, 10.11.2001)