In den Dokumenten zum Vertrag von Saint-Germain hieß der neue Staat, der mit dem Segen der Siegermächte des Ersten Weltkriegs aufgrund der Überzeugungsarbeit der Exilpolitiker Masaryk und Benes gebildet worden war, noch Tschecho-Slowakei. Doch der Bindestrich verschwand, von slowakischen Nationalisten mit Misstrauen registriert, bald aus dem offiziellen Namen der jungen Republik. Kein Wunder - deren führende Männer setzten auf die Idee des "Tschechoslowakismus" in der Überzeugung, durch die enge Sprachverwandtschaft auch die Barrieren, die sich in einer tausend Jahre getrennt verlaufenen Geschichte und den damit verbundenen ökonomischen und kulturellen Verschiedenheiten gebildet hatten, rasch überwinden zu können. Für das Selbstverständnis des neuen Staates war dies keineswegs nur eine Zukunftsvision, sondern es konnte auch nur durch die Einheit von Tschechen und Slowaken eine Mehrheit des staatstragenden Volkes gegenüber den mehr als vier Millionen Minderheiten gehalten werden. Noch waren die Grenzen des neuen Staates gegenüber Ungarn - der Vertrag von Trianon wurde ja erst am 4. Juni 1920, ein Dreivierteljahr nach Saint-Germain, geschlossen - nicht gefestigt. Zunächst drängten die Honvéds der in Budapest ausgerufenen Republik die tschechischen Truppen, die in die Slowakei einmarschiert waren, zurück, die vereinbarte Demarkationslinie beließ sogar Preßburg bei Ungarn. Nach Interventionen Frankreichs musste sich Ungarn bereit erklären, eine von den Siegern festgelegte Grenzziehung anzuerkennen. Die Tschechen hielten sich nicht an die Demarkationslinie, und die in der Folge in Ungarn gebildete Räteregierung Béla Kuns ließ daraufhin ihre "Rote Armee" in die Zentralslowakei einmarschieren, in Presov/Eperjes wurde eine "Slowakische Räterepublik" ausgerufen. Erst die Drohung, Ungarn von der französischen Armee besetzen zu lassen, zwang zum Rückzug. Die Ungarn dann in Trianon diktierte Grenzziehung erfolgte aus strategischen Gründen weit südlich der Sprachgrenze, sodass 800.000 Magyaren zu Staatsbürgern der von ihnen abgelehnten CSR wurden. Den Slowaken gab die Befreiung von der Bevormundung durch Ungarn und die feste Verankerung der Demokratie in der Tschechoslowakei die Chance zur vollen Entfaltung ihrer nationalen Selbstbehauptung. Die "Matica slovenská", nach dem österreichisch-ungarischen Ausgleich verboten, konnte nun ihre Tätigkeit sofort wieder aufnehmen und im ganzen Land Zweigstellen gründen, wodurch - wohl nicht im Sinne der Staatsgründer, die ja auf eine "tschechoslowakische Nation" setzten - die slowakische Sprache gefördert und vereinheitlicht wurde; wegen Versuchen, sie mit tschechischen Wörtern anzureichern, gab es gelegentlich Konflikte. Aus den Schulen wurde das bis dahin dominante Ungarisch verbannt, in Bratislava wurde eine eigene slowakische Universität gegründet. Die ungarischen Beamten, die zu einem großen Teil das Land verlassen hatten, wurden mangels ausgebildeter Einheimischer meist durch Tschechen ersetzt, hatten doch diese im österreichischen Teil der Monarchie - ganz anders als die Slowaken in Ungarn - längst einschlägige Verwaltungserfahrungen sammeln können. Dass dies zunehmend Verstimmung erzeugte, liegt auf der Hand. Auch dass die nun funktionierende Administration - anders als die eher nachlässige im alten Ungarn - für eine rigorose Eintreibung der Steuern und für lückenlose Erfassung der Wehrpflichtigen sorgte, löste wenig Begeisterung aus. Dazu kam, dass sich viele treukatholische Slowaken, vom Klerus bestärkt, durch die laizistische Haltung der Prager Regierung in ihrer Gläubigkeit verletzt sahen. Das gab dem Priester Andrej Hlinka (1864-1938), der seine in Ungarn verbotene Slowakische Volkspartei im Dezember 1918 wiedergegründet hatte, Auftrieb. Zwar hatte auch er die Gründung der Tschechoslowakei für die Trennung seiner Heimat von Ungarn als notwendig erachtet, doch war er schon als ungebetener Gast zur Pariser Friedenskonferenz gereist, um mit einem Memorandum auf die slowakische Eigenständigkeit hinzuweisen, jedoch von den französischen Behörden auf Betreiben von Benes abgeschoben und daheim ins Gefängnis gesteckt worden. Als er bei den ersten Wahlen ins Parlament gewählt wurde, kam er frei. Fortan mahnte er permanent die Erfüllung des beim Exilabkommen in Pittsburgh gegebenen Versprechens einer Autonomie für die Slowakei ein und wurde nicht müde, sich für die nationale Identität und die Anerkennung der slowakischen Sprache, also gegen den "Tschechoslowakismus", einzusetzen. Die Zentralregierung, die über die inneren historischen Grenzen durch eine neue regionale Bezirkseinteilung hinweggegangen war, zeigte sich lange nicht bereit, auf diese slowakischen Forderungen einzugehen. Neben der Idee von der "tschechoslowakischen Nation" war der Hauptgrund dafür zweifellos, dass bei Gewährung der Autonomie für die Slowaken sofort auch die Deutschen, die Ungarn und die Ukrainer auf einer solchen ethnisch bestimmten Kantonisierung bestanden hätten. Andrej Hlinka war eine charismatische Persönlichkeit, bei seinen Anhängern so unbestritten, dass seine Partei sich sogar 1925 in "Hlinkas Slowakische Volkspartei" umbenennen konnte. In dieser katholisch-nationalistischen Bewegung waren nicht nur klerikale und konservative Kreise mit dem Priester Jozef Tiso als Hauptvertreter beheimatet; es war auch für rechtsradikal-nationalistische Ideen Platz, wie sie Professor Vojtech Tuka vertrat, der die volle Souveränität für die Slowakei verlangte und als Generalsekretär der Hlinka-Partei eine paramilitärische Parteigarde, die "Rodobrana" (Heimwehr) aufstellte. Als Tuka nachgewiesen wurde, dass er ungarische Gelder angenommen hatte, mündete seine politische Karriere vorerst in eine langjährige Gefängnisstrafe. Im Jahr 1927 zeigte sich die Hlinka-Partei gegen gewisse Zugeständnisse zum Eintritt in das neu gebildete Bürgerblock-Kabinett bereit. Die Slowakei wurde nun eine eigene Verwaltungseinheit mit Landtag und Landesregierung, allerdings bedeutete das noch keineswegs die geforderte Territorialautonomie. Als Erfolg für die Kirche konnte Hlinka die Wiederaufnahme der Beziehungen Prags mit dem Vatikan verbuchen; sie waren nach der Teilnahme von Präsident Masaryk an einer Hus-Gedenkfeier 1925 abgebrochen worden. Allerdings fand die Regierungsbeteiligung der Volkspartei bei deren Wählern wenig Anklang, schon 1929 schieden ihre Vertreter wieder aus dem Kabinett aus. Infolge der großen Wirtschaftskrise, die die kleinstrukturierte slowakische Industrie und das Gewerbe schwer bedrückte, verschärfte sich auch die nationalistische Agitation. Hlinka versprach in seinen Reden, seinen Einsatz für die Erhaltung der slowakischen Identität selbst um den Preis des Bestandes der CSR fortzuführen, und er schloss einen Pakt mit der (protestantisch dominierten) Slowakischen Nationalpartei für den gemeinsamen Kampf um die Autonomie. Bei der Neuwahl des Staatsoberhaupts nach Masaryks Rücktritt hatte Benes die Stimmen der Slowakischen Volkspartei durch sein Versprechen, der Slowakei Autonomie einzuräumen, gewonnen. Doch nach der Wahl begnügte er sich damit, den Slowaken Milan Hodza von der tschechoslowakischen Agrarierpartei zum Ministerpräsidenten zu bestellen. Hlinka sah sich getäuscht und begann Gespräche mit der Karpatendeutschen Partei, die als Verbündete von Henleins Sudetendeutscher Partei die 150.000 Deutschen der Slowakei vertrat. Die Slowakische Volkspartei setzte nunmehr ihre Hoffnungen immer mehr auf Druck von außen, von Hitler-Deutschland. Im Juni 1938 forderte sie auf ihrem Parteitag in Bratislava ein extrem weit gespanntes Autonomiestatut. Hlinka erinnerte in der letzten Rede vor seinem Tod an das zwanzig Jahre zuvor unterschriebene Abkommen von Pittsburgh. Premier Hodza war zu Verhandlungen bereit, aber Benes, noch immer auf Hilfe vom Westen setzend, lehnte für die Slowaken ab, was er in dieser zugespitzten Situation den Deutschen weder gewähren konnte noch wollte. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 7./8./9. 12. 2001)