Man mag es heutzutage kaum glauben, aber in den ausgehenden sechziger und frühen siebziger Jahren hatte die Schönheit keinen besonders hohen Status. Als Bezugspunkt dieser Behauptung habe ich nicht vor allem die rückblickend betrachtet etwas eigenwillig anmutende Mode, zumal die post-hippiesken Glockenhosen (mit aufgestickten Blumenornamenten auf den Gesäßtaschen) oder die grellbunten Plastikhemden vor meinem geistigen Auge. Sondern ich meine jene gegenkulturelle Attitüde, die mit der Natur gegen die "künstliche" Schönheit eine "wahre" und "authentische" einklagte. In einer radikalen Wendung wurde Natürlichkeit zugleich gegen Schönheit gestellt und mit ihr in eins gesetzt, was natürlich war, war daher auch schön. Dieser ideologischen Aufladung ging seitens ihrer Betreiber das simple Bemühen um Differenz voraus, um eine Differenz zur dominanten Erwachsenenkultur, deren Biederkeit sich in öden Verhaltensmaßregeln genauso wie den ihnen entsprechenden äußerem Erscheinungsbild zeigte. Als Dean Martin im März 1964 die Rolling Stones als Moderator der 'Hollywood Palace'-Fernsehshow vor laufender Kamera unter anderem mit der Bemerkung "Their hair isn't that long. It's just smaller foreheads and higher eyebrows" niederzumachen versuchte, illustrierte dies beispielhaft, wie schnell und anlässlich welcher scheinbar minimalen ästhetischen Regelüberschreitungen das, was bald "Establishment"' genannt werden sollte, die Fassung verlor. Männliches Wallen Wenig später wallte das (auch männliche) Haupthaar, und es wallten die (auch männlichen) Gewänder der die Zeitströmung treffenden und sie mitschaffenden rebellischen Kinder, die meist aus der Mittelschicht kamen. Dieser Revolte, wenn wir sie denn so bezeichnen wollen, ging es um eine andere Lebensweise, auch wenn ihr politische Momente im engeren Sinne durchaus eingeschrieben waren. Und letztere war es auch, die weitere Folgen zeitigen sollte, wie Otto Penz in seinem eben erschienen Buch 'Metamorphosen der Schönheit' festhält. Er schreibt, dass "im Unterschied zur Jugendkultur der fünfziger Jahre allerdings die Lebensweise des gegenkulturellen (teilweise antikonsumistischen) Jugendbereiches der Sechziger zum Motor gesellschaftspolitischer und soziokultureller Veränderungen (wird)." Penz fügt hinzu: "Die 'sexuelle Befreiung' stellt in noch nie da gewesener Form das tradierte, prüde Familienideal in Frage und trägt entscheidend zur Aufwertung der Sexualität in den Beziehungen sowie zu einem weniger schamvollen Umgang mit Nacktheit bei". In Penzens Studie - und das sollten die eben angeführten Zitate indirekt auch illustrieren - geht es nicht um eine abstrakte Debatte von 'Schönheit'. Es handelt sich bei ihr, wie der Untertitel deutlich macht, um 'Eine Kulturgeschichte moderner Körperlichkeit'. Und zwar um eine solche, die soziale und politische Implikationen nie aus den Augen verliert. Otto Penz lässt sich von seinem Gegenstand nicht blenden, geschweige denn überwältigen. Einer streng soziologischen Sichtweise verpflichtet und doch einfühlsam und verständig erzählt er Wichtiges über die Modi der sozialen Konstruktion von Schönheit. Als die zentrale Achse seiner Arbeit bezeichnet er selbst "den Wandel des Körperschönen im 20. Jahrhundert" und dessen Behandlung/Diskussion ist auch der Hauptteil des Buches gewidmet. Vorangestellt wird dem allerdings ein Rückblick (vor allem ins 19. Jahrhundert), der den Ton anklingen lässt und das Feld theoretisch-methodisch öffnet und skizziert. Ein kleiner Fotoessay in der Mitte des Buches greift dessen Themenschwerpunkte noch einmal auf. Die Bilder illustrieren, als je einzelne genommene, wichtige Momente der Körperlichkeit im eben verstrichenen Jahrhundert. In ihrer Gesamtheit lassen sie die Entwicklungslinien dessen, was zu unterschiedlichen Zeitpunkten als 'schön' galt, sichtbar werden. Wenn der einen heute etwas missfällt, was dem anderen gestern gefallen hat, so ist dies eben nicht simpler Ausdruck unabhängiger privater Gusti, sondern weit eher ein Ergebnis komplexer gesellschaftlicher Artikulationsprozesse. Auch daran erinnert uns das Buch von Otto Penz. (DER STANDARD-ALBUM, Print-Ausgabe, 7./8./9. 12. 2001)