Innsbruck/Wien - "Vor hundert Jahren beobachtete ein Arzt in New York, dass bei Krebspatienten, die zugleich schwere bakterielle Infektionen hatten, die Tumoren häufig zurück gingen", berichtet Nikolaus Romani, Dermatologe an der Uni Innsbruck, dem STANDARD: "Deshalb wollte er Krebs mit Bakterien - das heißt: mit einer Überaktivierung des Immunsystems - therapieren. Wir versuchen im Prinzip dasselbe, nur nicht so brutal: Wir wollen das Immunsystem mithilfe der dendritischen Zellen dazu bringen, dass es Tumoren angreift."Dendritische Zellen sind die "Wächter" des Immunsys tems, die überall dort lauern, wo Fremdkörper ("Antigene") wie Bakterien in den Körper eindringen können, in der Haut etwa. Sie zersetzen die Antigene, nehmen Teile von ihnen auf und transportieren sie durch die Lymphgefäße in die Lymphknoten. Killerzellen aktivieren Dort zeigen sie ihre Funde bestimmten Abwehrzellen (T-Zellen), die sich daraufhin vermehren und dann selbst in die Gegenrichtung dorthin wandern, wo die Eindringlinge abgewehrt werden müssen. Sind sie an der "Front", "killen" sie selbst etwa virusbefallene Zellen oder mobilisieren wieder andere Abwehrzellen. Diese Kommunikation innerhalb des Immunsystems läuft über Kaskaden von Botenstoffen, in deren enorme Komplexität Romani seit 15 Jahren Schritt für Schritt vordringt. Zunächst einmal transportieren dendritische Zellen nicht nur Antigene, sie verändern sich während des Transports selbst, sie "reifen", produzieren verschiedene Botenstoffe, Interleukine etwa. Damit beeinflussen sie die Entwicklung der T-Zellen. Allergieverursacher Die kann in zwei Richtungen gehen: Je nachdem, welche Interleukine in welchen Mengen die dendritischen Zellen den T-Zellen mitbringen, stehen am Ende des einen T-Zell-Weges (Typ 2) dann Antikörper, vor allem das Immunglobulin E, ein gefürchteter Verursacher von Allergien. Könnte man diesen Signalweg beeinflussen, wäre gegen sie etwas gewonnen. Die andere Entwicklungslinie (Typ 1) führt zu den Zellen, die Bakterien fressen oder virusbefallene "killen" können. Oder auch Tumorzellen: Antigene können nicht nur von außen in den Körper gelangen wie Bakterien, sie werden auch vom Körper selbst produziert, wo er in Tumoren außer Kontrolle gerät. Daran knüpft sich die Hoffnung auf eine Tumorimpfung: "Die Idee ist, dass man Krebspatienten dendritische Zellen entnimmt, sie mit den spezifischen Antigenen der Tumoren belädt und dann wieder einspritzt", erklärt Romani die vom Wissenschaftsfonds unterstützten Forschungen. "An Mäusen kann man damit auch Tumoren heilen." Und an Menschen versucht man es auch in Innsbruck, wo - in Zusammenarbeit mit der Uni Erlangen - klinische Studien an Opfern des höchst bösartigen Hautkrebses Melanom laufen, die zunächst einmal die Verträglichkeit einer solchen Impfung gezeigt haben. Auch die Zahl der tumorspezifischen Killerzellen im Blut hat sich dadurch erhöht. "Es ist viel versprechend, weil es das Problem an der Wurzel packt und als Immunreaktion eigentlich auch ein Gedächtnis anlegen und bei der Wiederkehr der Tumoren nutzen müsste", erklärt Romani, "aber wir wissen noch vieles nicht und brauchen Zeit. Und vielleicht sollte man die Idealvorstellung relativieren, dass man jeden Krebs vollständig heilen kann. Es wäre ja schon schön, wenn man etwa Melanomkranken statt kurzer Endqualen zu zehn Jahren guten Lebens verhelfen könnte. Die Chancen dafür stehen gut." (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 11. 12. 2001)