Die illustre Herrenrunde hat sich bis zum heutigen Tag nicht vom Schock erholt: Da schwang sich doch der drittplatzierte Wolfgang Schüssel gegen den erklärten Willen von Hans Dichand, Thomas Klestil, Michael Häupl und Raiffeisen-General Christian Konrad auf den Kanzlersessel. Seither reiht sich aus Dichand-Sicht ein Affront des Kanzlers an den anderen. So bestellte er den Dichand-Intimfeind Gerd Bacher zum Berater für das neue ORF-Gesetz. Ab dem nächsten Jahr wird mit "schlampigen Verhältnissen" zwischen gewissen Medien und ORF aufgeräumt. Massenhaft Fernsehwerbung zu Dumpingpreisen und undurchsichtige Gegengeschäfte sind nicht mehr möglich. Und jetzt konterkariert der "Ironman" im Kanzleramt auch noch die Temelín-Kampagne der Krone.Schüssels viel kritisierte Kaltschnäuzigkeit trifft somit auch Hans Dichand vulgo "Cato". Seine Macht: drei Millionen Leser. Ihnen wird der Kanzler seit Jahr und Tag madig gemacht. "Wir lassen uns von nichts und niemandem erpressen", meinte VP-Generalsekretärin Maria Rauch-Kallat kürzlich tapfer in einem STANDARD-Interview. Das sagt sich natürlich leichter, solange keine Wahlen in Sicht sind. Denn die Anti-Schüssel-Linie der Krone bleibt nicht ohne Spuren. In Meinungsumfragen ist von Kanzlerbonus keine Spur. Dass Krone-Kreuzzüge kein Honiglecken sind, können auch Heide Schmidt, Erhard Busek, Rudolf Scholten und Caspar Einem bezeugen. Medienpolitisch hat die ÖVP - und mit ihr gemeinsam die viel gelobte Sozialpartnerschaft - Fehler gemacht, Stichwort Fellner-Kartell. Auch die Kür der neuen ORF-Spitze wirkt irgendwie hilflos. Doch dass sich der Kanzler in seinen politischen Zielen von der Krone und deren dicht gewebtem Netz zu ORF und Formil wenig beeindrucken lässt, verdient Applaus. (DER STANDARD, Print-Ausgabe vom 11. Dezember 2001)