Marcel Reich-Ranicki, der sich am kommenden Freitag nach fast 14 Jahren mit seinen Kollegen des "Literarischen Quartetts" vom Bildschirm verabschiedet, hat so manches harsche Urteil gesprochen. Auch wenn der gefürchtete Literaturkritiker Bücher sogar förmlich in der Luft verriss, so war er doch gleichzeitig auch eine "wunderbare große Werbetrommel", wie es in Verlegerkreisen hieß. Denn ob gut oder schlecht besprochen - allein die Tatsache, dass ein Buch in dieser bedeutendsten Literatursendung im deutschsprachigen Fernsehen erwähnt wurde, hatte einen enormen Werbewert. "Unlesbar und absolut wertlos" "Es ist günstiger für Verleger, bei uns verrissen zu werden, als nicht vorzukommen", war immer wieder aus der Redaktionsleitung der ZDF-Sendung zu hören. Das beste Beispiel ist vielleicht das Günter-Grass-Buch "Ein weites Feld", das Reich-Ranicki 1995 als "unlesbar und absolut wertlos" abkanzelte. Das schadete seinem Verkaufserfolg in den Buchhandlungen keineswegs - immerhin verfolgten meist bis zu eine Million Zuschauer die Verdammungsurteile oder Jubelhymnen. So befürchten Branchenkenner einen allgemeinen Rückgang des Buchumsatzes nach dem Ende des "Literarischen Quartetts". Ganz abgesehen von dem "Entdeckungseffekt" der Sendung, der so manchem Autor in den zurückliegenden Jahren in Deutschland von einem Tag auf den anderen zu einem Bestsellerautor machte - so geschehen zum Beispiel mit Newcomer Javier Marias mit "Mein Herz so weiß" oder auch mit Cees Nooteboom. "Alterndes Kritikerorakel" An MRR scheiden sich die Geister immer aufs Neue. Die einen sehen in ihm einen Glücksfall für die Literaturkritik in Deutschland, die anderen rümpfen über das "alternde Kritikerorakel" und den "literarischen Hohen Priester" die Nase oder bezeichnen ihn als "monologischen Wüterich". 1997 erwies er einem anderen großen Kritiker-Kollegen postum seine Reverenz und lobte Alfred Kerrs Buch "Wo liegt Berlin" mit dessen Briefen aus der Reichshauptstadt um 1900. Und dass ein Kritiker auch selbst einen Bestseller schreiben kann, bewies Reich-Ranicki vor zwei Jahren mit seiner Autobiografie "Mein Leben". Der Abschied Am Freitag verabschiedet sich der "Kritikerpapst" mit seinen Kollegen "standesgemäß" mit einer Sendung aus Schloss Bellevue als Gast von Bundespräsident und Alt-Verleger Johannes Rau. Zur Debatte stehen die Bücher "Das erste Jahr" von Durs Grünbein, "Haus, Frauen, Sex" von Margit Schreiners, "Ein Winter unter Hirschen" von Ralf Rothmann, "Kommen und gehen, manchmal bleiben" von Christoph Peters und als letzte Verbeugung des Quartetts vor dem Dichterfürsten, "Die Leiden des jungen Werther" von Johann Wolfgang Goethe. (APA)