Auf neue Grundlagen stellen will SPÖ-Vorsitzender Alfred Gusenbauer die Neutralität. Sie soll nicht mehr als ein Konzept des Kalten Kriegs begriffen werden, sondern "auf ein selbstbewusstes Verständnis" des modernen Österreich aufbauen, erklärte Gusenbauer am Dienstag bei einer Grundsatzrede über "Österreich in einer veränderten Welt" im Kreisky-Forum in Wien. Die "Neutralität neu" dürfe keinesfalls Rückzug aus dem Weltgeschehen bedeuten, erläuterte der SPÖ-Chef. Sie sollte vielmehr "Basis für das internationale Engagement" Österreichs sein.
Scharfe Kritik an Bundesregierung
Scharf kritisierte Gusenbauer in diesem Zusammenhang die Bundesregierung, die kein außenpolitisches Konzept habe und sich immer mehr von der internationalen Bühne verabschiede. Sie erkenne vor allem nicht die Möglichkeiten eines kleinen neutralen Landes, sich international zu positionieren.
Neutralität bestehe im Kern aus den drei Elementen, nicht an Kriegen teilzunehmen, keine dauernde Stationierung fremder Truppen zuzulassen und keinem Militärbündnis beizutreten, erläuterte der SPÖ-Vorsitzende. Gusenbauer in Richtung Bundeskanzler Wolfgang Schüssel, der die Neutralität als alte Schablone bezeichnet hat: "Welche dieser drei Komponenten sollen wir denn aufgeben? Will Österreich plötzlich an Kriegen teilnehmen? Wollen wir plötzlich Truppenstationierungen in Österreich haben?" Und schließlich gebe es keinerlei Bedrohungsszenario, das einen Beitritt zur Nato nahe legen würde.
Ziel einer gemeinsamen Sicherheitspolitik
Ausdrücklich bekannte sich der SPÖ-Vorsitzende zum Ziel einer gemeinsamen europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik. Österreich solle sich an entsprechenden militärischen Einsätzen beteiligen, freilich nur nach einem Beschluss des UNO-Sicherheitsrates oder der OSZE.
Keinen Zweifel ließ Gusenbauer am Bekenntnis der SPÖ zur Osterweiterung der EU. "Sinn und Zweck der Integration Europas ist die Beseitigung von Bruch- und Konfliktlinien - nicht nur im Sinne zwischenstaatlicher Konflikte, sondern auch im Sinne von Gräben zwischen Arm und Reich." Die Bevölkerung müsse für diesen Integrationsschritt freilich erst gewonnen werden. Die Ängste müssten dabei ernst genommen, dürften aber nicht geschürt werden, sagte Gusenbauer. Dies sei auch der entscheidende Unterschied zwischen der SPÖ und der FPÖ in der Temelín-Frage. "Die FPÖ will keine Erweiterung der EU und missbraucht dafür die Debatte um das AKW Temelín." Die Vetodrohung sei falsch, denn auf diesem Weg werde Österreich keine Partner in Europa finden, um seine Interessen durchzubringen, sondern allenfalls zum belächelten Außenseiter. (DER STANDARD, Print-Ausgabe vom 12.12.2001)