Wien - Mehr als 35.000 Unterstützungserklärungen haben die
Initiatoren des Volksbegehrens "Sozialstaat Österreich" nach eigenen
Angaben in den letzten acht Wochen gesammelt. Damit sind die
notwendigen 8.000 Stimmen bei weitem übertroffen, man habe in allen
neun Bundesländern breite Zustimmung erfahren, erklärten die
Initiatoren am Dienstag vormittag bei einer Pressekonferenz. Der
nächste Schritt erfolgt am 17. Dezember, dann werden die gesammelten
Stimmen an den Innenminister übergeben. Die erste Phase des
Volksbegehrens ist damit abgeschlossen. Wunschtermin für das
Volksbegehren ist Ende April 2002, Wunschziel sind 1 Million
Unterschriften.
Zusätzliche Klausel
Das Begehren ist als Ergänzung zu Artikel Eins der
österreichischen Bundesverfassung gedacht. Gefordert wird eine
zusätzliche Klausel die besagt, dass Österreich ein Sozialstaat ist.
Österreich sei das einzige EU-Land in Europa, das die soziale
Verantwortung nicht in der Verfassung verankert habe. (Mit Ausnahme
von Großbritannien, das keine Verfassung hat.) Damit will man der
fortschreitenden Schwächung des Sozialstaates entgegenwirken. "Die
von uns geforderte 'Sozialstaatsklausel' ist kein Allheilmittel gegen
Sozialabbau und Armut, aber sie kann als verfassungsrechtliches
Prinzip (zumindest) einen beständigen Reflexionsschub initiieren",
sagte der Rechtsanwalt Alfred J. Noll. Der Verfassungsgerichtshof sei
in den letzen zehn bis 15 Jahre prinzipienorientierter geworden, und
das lasse hoffen, dass auch die geforderte gesetzliche
Sozialverträglichkeitsprüfung Wirkung zeige.
"Unfinanzierbarkeit stimmt nicht"
"Die gesamte Diskussion der Unfinanzierbarkeit stimmt nicht"
erklärte Werner Vogt, Arzt und Publizist. Derzeit werde hinter dem
"Temelin-Wahnsinn" autoritäre "Stopp and go - Politik" verordnet und
die Einsparungen im Sozialbereich zur Budgetkonsolidierung Zweck
entfremdet. Die Ambulanzgebühr sei eine "Strafgebühr für richtiges
und falsches Gehen", und wäre zu verhindern gewesen, hätte es bereits
die Klausel der Sozialverantwortung in der Verfassung gegeben, zeigte
sich Vogt überzeugt. Das Spital sei auch nicht "der
Lieblingsaufenthaltsort der Österreicher", wie das teilweise
hingestellt werde, es gelte alte und kranke Menschen nicht zum
"Kostenfaktor" zu degradieren, sondern ihnen die Unterstützung
zukommen zu lassen, die erforderlich sei.
Aushöhlung der Sozialpolitik stoppen
Der Staat entwickle sich in Richtung liberale Armenversorgung.
Sozialpolitik sei nicht nur für sozial Schwache wichtig, sondern für
eine breite Mittelschicht, davon hänge Lebensstandard und der soziale
Friede ab. Die Regierung wolle offensichtlich öffentliche
Einrichtungen schwächen. Politikwissenschafterin Sieglinde Katharina
Rosenberger: "13 Prozent weniger Erstinskribenten an den Unis hat
nichts mit Scheinstudenten zu tun." Es gelte die derzeitige
Aushöhlung der Sozialpolitik, Bildungspolitik und Gesundheitspolitik
zu stoppen und sozialstaatliche Interessen zu stützen. Solidarität
müsse bei den sozialstaatlichen Leistungen und bei der Finanzierung
zum Prinzip erhoben werden.
Schüssel steht mit Ablehnung alleine da
Emmerich Talos, Politikwissenschaftler, kritisierte an die Adresse
des Bundeskanzlers: "Nicht das Eintreten für die Neutralität, sondern
die Ablehnung des Volksbegehrens Sozialstaat Österreich" mache
einsam. Bundeskanzler Wolfgang Schüssel stehe mit seiner Ablehnung
weitgehend alleine da. Sogar die FPÖ habe zumindest eine neutrale
Position bezogen. Wie eine aktuelle Umfrage zum Thema Vertrauen in
die sozialpolitische Kompetenz der EU zeige, sei dieses Vertrauen
nicht sehr groß. Es müsse sich in den einzelnen Mitgliedsstaaten
etwas bewegen, bevor sich die EU bewege.
Abschließend meinte Renata Schmidtkunz, Gastgeberin und
Vertreterin des überparteilichen und überkonfessionellen
Volksbegehrens, es gehe schlicht um die Frage: "Was ist uns ein
Sozialstaat wert und in welcher Gesellschaft wollen wir leben?"
ÖVP weist Vorwürfe zurück
"Als ideologisch bestimmte und einfach falsche
Positionen" bezeichnete der Sozialsprecher der ÖVP, Gottfried
Feuerstein, die Aussagen der Initiatoren des Volksbegehrens
"Sozialstaat Österreich". Den Vorwurf, die ÖVP sei gegen eine
verfassungsrechtliche Verankerung von Grundrechten, wies Feuerstein
in einer Aussendung zurück. Man könne in der Sozialcharta der ÖVP
nachlesen, dass diese Charta die Initiative "Sozialstaat Österreich"
bei weitem übersteige.
"Soziales Handeln bringt wesentlich mehr, als nicht gelebte
Gesetzesparagraphen", deponierte Feuerstein und kritisierte weiter,
die Betreiber des Volksbegehrens seien im Gegensatz zu anderen
Organisationen nicht bereit eine sachliche Auseinandersetzung über
die Ziele der Sozialpolitik zu führen. (APA)