Replik auf Ulrich Körtners Anmerkungen zur mangelnden Europa-Reife der heimischen Biopolitik. ("Stammzellenforschung und nationaler Eigensinn", Standard, 11.12.) Ulrich Körtner kann also meine vor kurzem im STANDARD geäußerten Bedenken, der Bioethikkommission des Bundeskanzlers drohe die bioethische Debatte zu entgleiten, "schwer nachvollziehen". Grund: In Österreich habe bisher eine Bioethikdebatte in nennenswertem Umfang noch nicht stattgefunden. Paradoxerweise liefert Körtner aber im gleichen Beitrag auch einen schönen Beleg für meine These. Er ruft zur Ordnung in der angeblich nicht stattfindenden bioethischen Debatte auf, erklärt die Auseinandersetzung über die humane embryonale Stammzellenforschung vor dem Hintergrund eines sich in Europa abzeichnenden Kompromisses (Nein zum Klonen, Ja zur Stammzellenforschun) als im Grunde gelöst und bietet in dieser Frage auch eine praktische Lösung für Österreich an: Da letztlich in Fragen wie der Stammzellenforschung kein gesellschaftlicher Konsens zu finden sei, möge man sich doch bitte über die Position der katholischen Kirche hinwegsetzen und eine pragmatische, natürlich "europäische" rechtliche Lösung finden. Die Argumentation Körtners erinnert an den klassischen österreichischen Weg bei gesellschaftlich kontroversen Technologien, von der Atomtechnologie bis zur Gentechnik: möglichst lange eine Debatte zu verzögern oder wegzuleugnen und dann umso schneller Kraftwerke zu bauen, Gesetze zu verabschieden und andere Tatsachen zu schaffen, die wenig später zu massiven Gegenbewegungen und Protesten führen, deren Folgen Österreich häufig international isolieren. Diese Zyklen sind mittlerweile wohlbekannt, und es wäre angebracht, Ähnliches im Feld der Biomedizin zu vermeiden. Dafür bedarf es politisch-institutioneller Mechanismen, die gesellschaftlich vorhandenen Sorgen oder Ängste ernst nehmen, aufgreifen und systematisch diskutieren und erörtern. Auf nationaler Ebene arbeitende Bioethikkommissionen haben sich weltweit als sinnvolle Orte für das Nachdenken über Trends und Entwicklungen in der Biomedizin erwiesen. Allerdings müssen diese Kommissionen ausgewogen zusammengesetzt sein, über gesellschaftspolitische Sensibilität verfügen und professionell und effizient handeln, um tatsächlich ihren Aufgaben gerecht werden zu können. Auch können Bioethikkommissionen nur ein Moment eines größeren und breit angelegten gesellschaftlichen Nachdenkprozesses sein. Unkoordiniert ... Bisher ist die immerhin vor rund einem halben Jahr eingerichtete österreichische Bioethikkommission in der Öffentlichkeit nur durch sporadische Wortmeldungen einzelner Mitglieder aufgefallen, die ihre oft diametral entgegengesetzten, manchmal etwas erratischen bioethischen und rechtspolitischen Vorstellungen, scheinbar ohne jede interne Koordinierung, einer vermutlich immer wieder verblüfften Öffentlichkeit vorgeführt haben. Ähnlich wie der Theologe Körtner jetzt hat auch etwa der Kommissionvorsitzende Johannes Huber schon vor dem ersten Zusammentreten dieses Gremiums seine normativen Vorstellungen zu einer Reihe von bioethischen Fragestellungen deutlich gemacht - ein Akt, durch den er kraft seiner Funktion teilweise jene Debatte präjudiziert hat, die in der Kommission erst zu führen war. Abgesehen von Meinungsäußerungen einiger ihrer Mitglieder war aber bisher von der österreichischen Bioethikkommission noch wenig zu hören, und das in einer Phase, in der weltweit bioethische Fragestellungen breit diskutiert werden, durchaus auch in Österreich. Die geringe Sichtbarkeit der Kommission des Bundeskanzlers, deren Aufgabe auch darin besteht, mit der Öffentlichkeit in Kontakt zu treten und sie zu informieren, die aber nicht einmal über eine Homepage im Internet verfügt, war wohl auch Grund dafür, dass im Oktober dieses Jahres die "Plattform Nein zur Biomedizin" eine "Alternative Bioethikkommission" eingericht hat. ... und kurzsichtig Es darf spekuliert werden, welche nächsten Schritte wir in Österreich in der Debatte über die Biomedizin erleben werden. Sicherlich sollte kein Volksbegehren notwendig sein, damit endlich alle verstehen, dass sich die Öffentlichkeit über ein Thema Sorgen macht. In diesem Zusammenhang ist jedoch vielleicht der Hinweis angebracht, dass die so notwendige gesellschaftliche Debatte über Fragen der Biomedizin an unterschiedlichen Orten stattfinden kann: in Bioethikkomissionen, aber auch in parlametarischen Enqueten, bei Bürgerdialogen, Diskursforen etc. - an solchen politisch-institutionellen Mechanismen mangelt es nicht. Es bedarf aber einer gewissen politischen Weitsicht, den gesellschaftlichen Dialog über die Biomedizin auch tatsächlich zu führen - auch wenn der sprichwörtliche Hut (noch) nicht brennt. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 13.12.2001)