Wien - Freuen sich zu Weihnachten nicht alle auf Familie? Und wo - abgesehen von den Munsters - gibt es mehr Familie als bei Thomas Mann? Familienfotos, Familienmythen, Familientragödien: Verfall von Vorfahren (Buddenbrooks, 1901), Verfall von Nachfahren (Selbstmorde der Söhne Klaus und Michael), Konflikte mit Mitfahren (Bruder Heinrich, der "französisierende Zivilisationsliterat" im Ersten Weltkrieg: Betrachtungen eines Unpolitischen).Die Familie Mann als Paradigma? Wird nun in Heinrich Breloers Saga "Die Manns - ein Jahrhundertroman" das Problem Familie gelöst? Leider geht es nicht so einfach. Der Film ist zu schlecht, trotz der ausgezeichneten Zeitzeugen, primär der jüngsten Mann-Tochter Elisabeth (geb. 1919), die als Interviewpartnerin einen roten Faden durch die drei Teile zieht. Breloer nähert sich "der" deutschen Großfamilie Breloer ist ja bekannt geworden durch seine Kombinationen von Dokumentar- mit Spielszenen (u.a. zur Schleyer-Entführung, Das Todesspiel, 1997). Mit dieser Methode - Interviewpassagen wechseln mit Spielszenen - nähert er sich nun auch "der" deutschen Großfamilie. Ein Beispiel: Oktober 1929, die das Haus samt Insassen (fünf Kinder, Personal) regierende Ehefrau Katia (unsäglich harmlos: Monica Bleibtreu) geht zum Telefon. Hier Stockholm. Nobelpreis. Thomas Mann, leider vollzieht er gerade seinen Mittagsschlaf, ist am Ziel. In Schwarz-Weiß steht sein Double Armin Müller-Stahl (elegant-zurückhaltend) im Festsaal und spricht (Originalton der damaligen Rundfunksendung). Dann aber eilt die Fernsehregie - die Sendezeit ist begrenzt - die Stufen des vorläufigen Abstiegs hinunter: Nationalsozialisten durchsuchen - allzu schöne Farbaufnahmen - die Villa in München-Pasching, die Familie emigriert über die Schweiz in die USA, davor noch schnell die tausendmal schon gezeigte Szene der Bücherverbrennung. Und viele sehr oberflächliche Sätze über den "Naziterror". Eine Schlagzeilensprache. Das haben Soap-Operas so an sich. Die wilde Wirklichkeit Wie wild ist dagegen die Wirklichkeit: Heinrich Mann, der ältere, doch von seiner in Brasilien geborenen Mutter Julia de Silva weniger geliebte Sohn, der von früh an sich mit Prostituierten und Randständigen abgibt. Bei Breloer spielt Veronica Ferres Heinrichs vom vornehmen Bruder-Clan verachtete Frau Nelly Kröger, wirkt aber wie eine Plastikpuppe am Swimmingpool. Unbewältigt in der Familie auch die gewaltige Spannung zwischen dem Anspruch, die repräsentative bildungsbürgerliche deutsche Familie zu sein - und den (aus bürgerlicher Sicht) skandalösen Brüchen darin: Thomas Manns in den Tagebüchern explizit ausgesprochene Homosexualität; diejenige seiner Kinder Klaus und Golo, auch Erikas all zu enge Bruderbindung und ihre lesbischen Beziehungen; dann die gebrochene Tochter Monika - zittrig in einer der leider viel zu kurzen Interviewpassagen (auf der Flucht in die USA war das Schiff torpediert worden: sie überlebte, ihr Mann ertrank); und zuletzt der jüngste, der ungeliebte Sohn Michael, der dachte, Germanist werden zu müssen: Selbstmord 1977. Großdichter-Traumatisierung Einzig die unverwüstliche Matrone Katia und auch Elisabeth, die Meeresbiologin wurde ("Mamas klappernde Schreibmaschine - sie führte ja die ganze Korrespondenz, viele Briefe sind von ihr formuliert, hörte ich immer beim Einschlafen"), entrannen der Großdichter-Traumatisierung, wo alles Literatur wurde: Schön der Interviewsatz des Enkels Frido, es habe ihn doch ein wenig unangenehm berührt, im Doktor Faustus (als Lieblingsenkel) schon gestorben zu sein. Nun: Heinrich Breloer wollte diesen Konflikten nicht von vornherein ausweichen, sie ziehen sich durch die Teile. Am besten in den Interviews. In den Spielszenen aber versinken sie im Weichzeichner. Drogensucht etwa zeigt diese Fernsehästhetik betulich in rotem und grünem Licht (Dämonie!). Fast alles wirkt wie bei den Buddenbrooks: Aber nicht wie das Buch, sondern wie deren TV-Adaption 1978. Es ist also geschafft: Thomas Mann braucht gar nicht mehr gelesen werden. Schließlich ist seine Familie ja schon verfilmt. Die neue Forsythe-Saga. (DER STANDARD, Print-Ausgabe vom 13. Dezember 2001)