Welt
Neuer Lehrgang über psychich kranke Verbrecher
Thomas Müller: "Die Aufgabe eines Kriminalpsychologen ist es, Verhaltensmuster eines noch unbekannten Täters zu erstellen"
Wien - Kriminalpsychologen ermitteln anhand von
Tatortanalysen das Verhalten von Kriminellen beim Begehen von
Verbrechen. Die Forensische Psychiatrie bzw. Psychologie erstellt
Gutachten über psychisch kranke Verbrecher. Im Rahmen einer
wissenschaftlichen Kooperation sollen nun Erfahrungen zwischen den
Disziplinen ausgetauscht und neue Erkenntnisse gewonnen werden. Heuer
fand der erste diesbezügliche Lehrgang in Europa statt, wie Thomas
Müller, Kriminalpsychologe im Innenministerium, und Dr. Michael
Osterheider, Klinischer Direktor des Westfälischen Zentrums für
Forensische Psychiatrie, am Donnerstag bei einem Pressegespräch in
Wien berichteten. Zwei Wochen hat der Kurs im Frühjahr in Lippstadt-Eickelborn
(Deutschland) gedauert, nach der Theorie wurden konkrete Fälle
besprochen und Patienten interviewt. Seine Erfahrungen vermittelte
dabei auch der ehemalige FBI-Agent und nunmehrige Direktor der
Forensic Behavioral Services International, Robert K. Ressler. Der
Amerikaner gilt als Urvater der Verhaltensforschung bei Verbrechen,
als Profiler war er u.a. an der Jagd auf Serienmörder beteiligt bzw.
hat mit ihnen lange Gespräche geführt. In dieser Woche kam es in Wien
zu einem Retraining der Kursteilnehmer.
Tatortanalyse
In der Anstalt in Lippstadt werden rund 350 Patienten betreut. "In
der Regel liegen Einweisungsgutachten und Krankenberichte vor",
erklärte Osterheider. "Diese Informationen sind teilweise zu
spärlich. Wenn wir uns der Methodik der Tatortanalyse nähern,
erhalten wir wichtige zusätzliche Informationen. Wir können dadurch
unsere Therapien modifizieren." Außerdem können die Experten diese
weiteren Erkenntnisse bei Prognosen in Sachen Wiederholungsgefahr
einfließen lassen.
"Die Aufgabe eines Kriminalpsychologen ist es, Verhaltensmuster
eines noch unbekannten Täters zu erstellen", führte Müller aus. Mit
den gewonnenen Fakten lässt sich nicht nur auf die Eigenarten des
Verbrechers schließen, sonder man kann u.a. Ermittlungs- und
Vernehmungsstrategien entwickeln. Die "objektiven
Tatbestandsmerkmale" würden den Gerichtspsychiatern zusätzliche
Einblicke in die Persönlichkeit eines Täters gewähren, betonte
Müller.
Fehler der Vergangenheit
Osterheider illustrierte die Wichtigkeit der Kooperation zwischen
den beiden Disziplinen mit einem Beispiel: Ein Patient in seiner
Klinik, verurteilt wegen eines sexuellen Deliktes ohne Todesfolge,
wurde durch DNA-Anaylse eines Mordes an einer Prostituierten
überführt. "Er hat sich zunächst damit verantwortet, es habe einen
Streit um die Bezahlung gegeben", erzählte Osterheider. Erst die
Ergebnisse aus der Tatortanalyse - der Mann hatte auf sein Opfer 80
Mal eingestochen - ließen auf die sexuellen Fantasien und
letztendlich wahren Motivationen schließen.
Laut Müller könnten bei entsprechender Zusammenarbeit "Fehler der
Vergangenheit" vermieden werden. Er führte als Beispiel die
Freilassung von Jack Unterweger an. Doch nicht nur die Forensische
Disziplin, auch die Kriminalpsychologen profitieren vom
Datenaustausch. Das zeigte der Fall Franz Fuchs: Aufrund der peniblen
Anordnung der Batterien im Sprengsatz von Oberwart war den Beamten
klar, dass der Täter eine zwanghafte Person sein muss. "Die Kollegen
der Forensischen Psychiatrie wiederum wussten, dass solche Personen
nichts mehr hassen als Stress. Diese Information ist in die
Ermittlungsstrategie eingeflossen", so Müller. (APA)