Bild nicht mehr verfügbar.

Foto: APA/archiv
Mit 1. Jänner 2002 ist es so weit: Der Euro, seit drei Jahren als Währung und Recheneinheit existent, wird auch als Bargeld in Form von Banknoten und Münzen verfügbar sein. STANDARD: Knapp drei Wochen vor seiner Einführung als Zahlungsmittel schlägt dem Euro noch immer Misstrauen entgegen. Er gilt als Weichwährung, weil er seit seiner Installierung Anfang 1999 gegenüber dem Dollar rund 25 Prozent an Wert verloren hat. Warum konnte er seinen Außenwert nicht halten? Liebscher: Der Euro hat sein wesentliches Ziel, die Sicherung und Erhaltung der Kaufkraft in der Währungsunion, erreicht. 1999 lag die Inflationsrate bei 1,1 Prozent, im Jahr darauf bei zwei Prozent. Heuer wird sie etwas höher sein, im kommenden Jahr aber wieder zurückgehen. Damit haben wir eine absolut stabile Währung für einen Wirtschaftsraum von 300 Millionen Menschen, was gerade in der derzeitigen konjunkturellen Situation von nicht zu unterschätzender Bedeutung ist. Beim Außenwert der Währung spielt auch die Erwartungshaltung der Märkte eine Rolle. Obwohl das Wirtschaftswachstum in Europa im letzten Jahr mit 3,5 Prozent ein Zehn-Jahres-Hoch erreichte, zeigte die US-Wirtschaft eine noch stärkere Dynamik - und das über einen längeren Zeitraum hinweg. Trotz der derzeit ausgeprägten Wirtschaftsschwäche in den USA sind die Erwartungshaltungen diesem Land gegenüber noch immer positiver als gegenüber Europa. Grundsätzlich spielt der Wechselkurs in einem großen Binnenmarkt nicht mehr jene Rolle wie in einem kleinen, währungspolitisch eigenständigen Land. Schließlich entstehen 80 Prozent des Bruttoinlandsprodukts innerhalb dieses großen Wirtschaftsraums. STANDARD: Der Euro hat bisher auch als Anlage- und Reservewährung enttäuscht. Sein Anteil an den gesamten offiziellen Devisenreserven liegt laut Bundesbank-Vizepräsident Jürgen Stark bloß bei 13 Prozent und damit auf einem Niveau, das die D-Mark allein erreichte. Liebscher: Ich sehe das durchaus positiv, dass bereits 13 Prozent aller Devisenreserven in Euro veranlagt sind. Im Vergleich dazu liegt etwa der Anteil des japanischen Yen bei fünf Prozent, ebenso jener des britischen Pfund. Aber selbst diese 13 Prozent sind noch eine durchaus ausbaufähige Größe. Man darf nicht vergessen, dass bereits einige Notenbanken, wie zuletzt jene der Volksrepublik Chi- na, ihre Absicht bekundeten, in Zukunft einen Teil der Währungsreserven in Euro zu halten. Natürlich ist der Dollar nach wie vor die dominante Reservewährung, aber der Euro hat in einem vergleichsweise sehr kurzen Zeitraum von knapp drei Jahren eine gute Position erreicht. Man kann daher nicht von einer Enttäuschung sprechen. Als Anlagewährung hat sich der Euro noch viel stärker in den Vordergrund geschoben. Im Vorjahr lauteten 45 Prozent der internationalen Emissionen auf Euro gegenüber 47 Prozent auf Dollar. Das ist ein gewaltiger Marsch nach vorne, wenn man bedenkt, dass jede neue Währung erst Vertrauen und internationale Reputation gewinnen muss. STANDARD: Mit der Währungsumstellung sind hohe volkswirtschaftliche Aufwendungen verbunden. Schätzungen für Österreich gehen von rund 20 Milliarden Schilling aus. Rechnet sich das? Liebscher: Der Wegfall des Wechselkursrisikos, der sich durch den Euro ergibt, und das Potenzial von zwölf Ländern mit einer einzigen Währung werden zu einer Intensivierung des Handelsvolumens innerhalb dieses Wirtschaftsraumes führen. Schon deshalb dürfte sich der Euro rasch amortisieren. Größere Unternehmen dürften vom Euro stärker profitieren als kleinere. So hatten einige bisher für die Wechselkursabsicherung 40 bis 50 Mio. S pro Jahr zu bezahlen. Diese Beträge fallen in Zukunft weg, was eine enorme Ersparnis bedeutet. STANDARD: Es gibt namhafte Ökonomen, wie etwa Professor Erich Streissler von der Universität Wien, die den Euro für entbehrlich halten. Eine Anbindung der Wechselkurse an die D-Mark, wie es sich beim Schilling rund ein Vierteljahrhundert lang bewährte, hätte denselben Effekt gebracht, ohne zusätzliche Kosten zu verursachen, meinen sie. Liebscher: Eine solche Meinung ist durchaus zu respektieren. Demgegenüber hat aber etwa der Wirtschaftsnobelpreisträger Robert Mundell den Euro als etwas sehr Positives gelobt. Auch Wissenschafter sind in dieser Frage nicht einer Meinung, wie man sieht. Eines steht jedenfalls fest: Die zwölf Länder der Eurozone sind über die gemeinsame Währung wesentlich enger aneinander geschmiedet, als sie es mit einer bloßen Wechselkursfixierung wären. Auch fallen eine Reihe von Problemen und Unannehmlichkeiten im Reiseverkehr und bei grenzüberschreitenden Geldtransaktionen weg. Außerdem reduzieren sich durch den Euro die Transaktionskosten. Grundsätzlich ist mit der Einführung des Euro die Stabilitätszone größer geworden, und die einzelnen Mitglieder der Währungsunion sind besser vor negativen internationalen Schocks geschützt. So gab es zum Beispiel nach dem 11. September keine Währungsturbulenzen. Mit dem Euro ist auch ein großer funktionsfähiger Kapitalmarkt entstanden, der Mittelbetrieben im Anleihebereich einen leichteren Zugang bietet. STANDARD: Der Euro war in erster Linie eine politische Entscheidung. Welche politischen Effekte werden von ihm ausgehen? Liebscher: Für die europäische Integration bedeutet der Euro einen ganz großen Schritt nach vorne. Die europäische Identität der Bürger im Euroraum wird ebenso gestärkt wie die notwendigen Koordinationsmechanismen in Richtung politische Union, wie immer die schließlich aussehen wird. Insgesamt positioniert sich Europa durch den Euro besser in Bezug auf Liberalisierung und Internationalisierung der Wirtschaft, und die gemeinsame Währung bietet schließlich auch Schutz vor etwaigen Entliberalisierungsversuchen, wie sie sich da und dort durchaus ergeben könnten. STANDARD: Mit dem Wechsel zum Euro ist die Angst vor einem zusätzlichen Preisauftrieb verbunden. Knapp 60 Prozent der Österreicher erwarten, dass das neue Geld zu Preissteigerungen führt, nur zwei Prozent glauben an Verbilligungen. Liebscher: Wenn ich mir die jüngsten Inflationszahlen anschaue, sehe ich keinen Anlass, über einen preissteigernden Effekt auch nur zu diskutieren. Verschiedene Studien haben ergeben, dass der Übergang auf neue Zahlungsmittel, wenn überhaupt, höchstens zu Preissteigerungen von 0,1 bis 0,2 Prozent führen wird und auch das nur vorübergehend. Der Umstellungsmechanismus funktioniert im Großen und Ganzen und der Wettbewerb wird allen Preiserhöhungsgelüsten schon einen Riegel vorschieben. Dennoch appelliere ich an alle, bei der Umrechnung von Schilling in Euro ordnungsgemäß vorzugehen. STANDARD: Wie wird sich der Euro auf das Konsumverhalten der Österreicher auswirken? Schließlich bringt er mit fast dem vierzehnfachen Wert des Schilling ein völlig neues "Geldgefühl" mit sich. Liebscher: Am Kaufverhalten der Österreicher wird sich nicht viel ändern. Die Produkte des täglichen Lebens benötigt man ohnehin, und bei allen anderen werden sie sich schnell an die neue Währung, die jetzt auch Zahlungsmittel ist, gewöhnen. Das wichtigste dabei: Man sollte sich möglichst schnell ein "Gefühl" für den Euro aneignen. STANDARD: Der Österreicher hat sich im Laufe der Jahre daran gewöhnt, primär mit Banknoten zu bezahlen. Warum gibt es keinen Ein- oder Zwei-Euro-Schein nach dem Muster des Dollar? Liebscher: Bei der Stückelung der Zahlungsmittel und Aufteilung auf Banknoten und Münzen hat man sich auf das bei den Europäern überwiegende Verhalten eingestellt. Mit seinen Bargeldgewohnheiten befindet sich der Österreicher in Europa aber in der Minderheit. Nur Italiener und Griechen sind in ähnlichem Ausmaß auf Banknoten fixiert. In allen anderen Ländern gibt es wesentlich höhere Münzeinheiten, wie etwa das Fünf-DM-Stück in Deutschland, das immerhin dem Wert von 35 Schilling entspricht. Vorerst wird man jetzt abwarten müssen, wie sich die Stückelung bewährt. Wer als Tourist in Frankreich oder Spanien war, wird eher daran gewöhnt sein, mit Hartgeld umzugehen. Ich bin aber davon überzeugt, dass sich auch alle anderen daran gewöhnen werden, weit mehr als bisher mit Hartgeld zu bezahlen. STANDARD: Bei der Umstellung von der Krone auf dem Schilling 1924 ergab sich eine ähnliche Situation. Eine Zeitung schrieb damals: "Das alte Geldtäschchen tritt wieder in seine Rechte und die Lederhändler werden in den nächsten Wochen ihre Freude haben." Werden sie sich auch diesmal freuen oder wird es eher die Kunststoffindustrie sein, die jubiliert? Liebscher: Das weiß ich wirklich nicht. Aber die frühzeitige Gewöhnung an das Zahlen mit Münzen war einer der Gründe für die Ausgabe der Startpakete an Private bereits ab 15. Dezember. Was wäre sonst passiert? Viele hätten sich am 1. Jänner Eurobanknoten besorgt und sie sofort ausgegeben. Die Unternehmen hätten dann noch mehr Münzen als Retourgeld benötigt. So aber können kleinere Beträge gleich mit Hartgeld bezahlt werden. Eines steht fest: In Zukunft wird wesentlich weniger Hartgeld zu Hause abgelegt werden. STANDARD: Der Euro ist ab 1. Jänner 2002 gesetzliches Zahlungsmittel. Werden bis dahin genug Noten und Münzen in Umlauf sein? Liebscher: Wir gehen davon aus, dass wir zu Jahresbeginn mit 360 Millionen Stück Banknoten und 1,5 Milliarden Stück Münzen starten, das sind insgesamt zehn Milliarden Euro oder 75 Prozent des gesamten derzeitigen Bargeldumlaufes. Von den genannten Mengen sind bereits 93 Prozent an Banken und Unternehmen ausgeliefert. Die restlichen sieben Prozent liegen als "eiserne Reserve" bei der Nationalbank. Dies sollte auf jeden Fall reichen. Umso mehr, als der Bargeldumlauf mit dem verstärkten Einsatz von Bankomat- oder Kreditkarten tendenziell ohnehin rückläufig ist. STANDARD: Was raten Sie dem Österreicher? Soll er, so lange es geht, beim Schilling bleiben oder möglichst schnell auf den Euro umsteigen? Liebscher: Je früher er sich auf den Euro einstellt, desto besser für ihn. Nach allem, was unsere Untersuchungen bisher ergaben, wird der Geldumtausch rasch vor sich gehen. Beträge auf Girokonten oder Sparbüchern werden ohnehin mit Jahresbeginn auf Euro umgestellt. Beim Bargeld sollte die Umstellung in den ersten drei Wochen zu 75 Prozent abgeschlossen sein. Der Rest sollte bis Mitte Februar auf die neuen Zahlungsmittel umgestiegen sein. Die Neugierde wird bei diesem Umstellungsprozess sicher eine Rolle spielen. (DER STANDARD, Printausgabe 14.12.2001)