Wien - Der Euro habe keine "Begleitmelodie". Deswegen sei er kalt. Oder zumindest emotional unbesetzt. Und bis sich das ändere, werde es noch ein Weilchen dauern, meint Helene Karmasin: "Der Euro ist sehr eine rationale Sache. Nur die allerwenigsten Menschen verbinden mit ihm tiefe Gefühle - egal ob das nun große Freude oder Angst und Ablehnung ist", erklärt die Motiv- und Meinungsforscherin."Wichtiges nationales Zeichen" Denn im Vergleich zu allen anderen - früheren - Währungen habe der Euro ein großes Manko: Er sei völlig unbrauchbar, um sich von anderen abzugrenzen, sich über sie zu stellen oder auf die eigenen Qualitäten zu pochen. "Geld ist eines der wichtigsten Zeichen für nationale Identitäten", erklärt Karmasin - und verweist auf die Geschichte: Spätestens im 19. Jahrhundert war die eigene Währung eines der drei wichtigsten Elemente geworden, um den Nationalstaat nach außen hin sichtbar zu machen: Währung, Fahne und Hymne hieß die Troika. "Auch auf den Schilling war man stolz. Er war hart. Und ein Zeichen des gelungenen Wiederaufbaus", referiert Karmasin, "und über die Länder mit weichen Währungen hat man zumindest gespöttelt. Und plötzlich ist dieses Mittel zur Abgrenzung weg, man wird quasi zur Verbundenheit gezwungen." So sehr das aus einer rationalen Perspektive zu begrüßen sei ("Das gemeinsame Europa ist zwar ein Friedensprojekt, aber doch vor allem durch die Wirtschaft definiert"), so schwierig sei die Verankerung dieses Gedankens in den Herzen: "Europa ist nichts. Die Leute fühlen nichts." Freilich, schränkt Karmasin ein, gäbe es eine Minderheit - etwa zehn Prozent der Bevölkerung -, die "sich wirklich sehr freut. Weil sie hinter dem Wirtschaftsraum das Zusammenwachsen des Kontinents als enorme kulturelle Errungenschaft und Zeichen der Zivilisation betrachtet." Friedliches Gegenmodell Es wären dies, so die Studien der Meinungsforscherin, durchwegs gebildete, besserverdienende Schichten, "in etwa jene Kreise, die für Hochkultur erreichbar sind". Europa schwebe diesen Menschen meist als friedliches Gegenmodell zum amerikanischen Traum vor. Mit Mehrwert: "Sozial gerechter, mit einer langen Geschichte, die auch die Liebe zum Unfunktionalen, zur Lebenskunst entwickelt hat." Dass auf den neuen Banknoten keine Kulturheroen verewigt wurden, "schmerzt diese Leute sehr." Am anderen Ende der Skala sieht Karmasin allerdings eine ebenso große Gruppe von Euro-Verneinern: "Menschen mit einer tiefen Schillingnostalgie spüren meist, dass die Umwälzungen, für die der Euro nur das offensichtlichste Zeichen ist, für sie nichts Gutes bedeuten. Sie gehören aufgrund ihrer sozialen Stellung, Bildungs-und Einkommensverhältnisse auch so gut wie nie zu den Gewinnern der neuen Technologien und der Globalisierung. Sie spüren: Hier stirbt eine Welt." Dazwischen, erläutert Karmasin, läge das weite Spektrum der mehr oder weniger optimistischen Pragmatiker: "Die meisten Leute sagen sich, dass das so wie im Urlaub sein wird: Nach zwei bis drei Wochen hat man das im Gefühl." Ob in dieser Zeit wegen der niedrigeren Zahlen mehr ausgegeben werden wird? "Das wird eher umgekehrt sein. Die Leute werden sich sagen: Vorsicht, das schaut nur so niedrig aus, da muss ich aufpassen." (Thomas Rottenberg, DER STANDARD, Printausgabe 14.12.2001)