Brüssel - Für den geplanten Vorsitz des EU-Konvents zur Vorbereitung der EU-Reformen waren Freitagnachmittag nur noch zwei Kandidaten im Rennen: der niederländische Ministerpräsident Wim Kok und der frühere französische Staatspräsident Valéry Giscard d'Estaing.

Bundeskanzler Wolfgang Schüssel hatte vorher eine leichte Präferenz für Giscard erkennen lassen, während SPÖ-Vorsitzender Alfred Gusenbauer gemeint hatte, ein Sozialdemokrat sollte Vorsitzender des Konvents werden. Das sei die einzige sichere Chance für die Sozialdemokraten, überhaupt ein Mitglied des Präsidiums des Konvents zu stellen. Von den fünf Vorstandssitzen seien vier fix für andere Parteien vergeben.

Bisher waren viele Namen für diese Position gehandelt worden, neben Kok und Giscard d'Estaing auch der ehemalige italienische Ministerpräsident Giuliano Amato, der ehemalige finnische Präsident Martti Ahtisaari, der ehemalige Präsident der EU-Kommission Jacques Delors, der frühere belgische Regierungschef Jean-Luc Dehaene und der portugiesische Ministerpräsident António Guterres.

Beim EU-Gipfel in Laeken wird heute, Samstag, der Kovent formell eingesetzt. Seine Aufgabe ist es, Regeln zu erarbeiten, um die erweiterte Union funktionsfähig zu erhalten und in der Folge eine Verfassung für Europa zu entwickeln.

Es soll zu einer Vereinfachung der Europäischen Verträge, einer klareren Kompetenzverteilung zwischen der Union und den Staaten, zu einer Verstärkung des Einflusses der nationalen Parlamente auf die Unionspolitik sowie einer Verankerung der EU-Grundrechtscharta kommen.


Präsidentenwahl

Vorbild des Konvents war das Gremium, das die Grundrechtscharta erarbeitet hatte. Außenministerin Benita Ferrero-Waldner sprach sich am Freitag für die angestrebte Reform der EU durch den Konvent aus. "Die Balance zwischen den Institutionen muss aber gehalten werden", meinte die Ministerin. Hintergrund dieser Aussage ist, dass alle bisherigen Reformversuche daran scheiterten, dass weder Kommission noch Rat bereit waren, auf Kompetenzen zu verrichten. Dass es zu einer Aufwertung der Rechte des Europäischen Parlaments kommen muss, darüber herrscht mittlerweile Konsens. Ferrero kann sich vorstellen, dass künftig der EU-Präsident vom Europäischen Parlament gewählt wird. Die derzeit amtierende belgische EU-Präsidentschaft hat die Direktwahl des Präsidenten vorgeschlagen, damit "Europa endlich ein Gesicht bekommt". (ina)

(DER STANDARD, Printausgabe, 15.12.2001)