EU
EU-Gipfel gibt die Reformzügel aus der Hand
Laekener Mandat "ohne Tabu" lässt Konvent jeden Spielraum - "Alte Fahrensleute mit neuen Visionen" sollen Vertragsreform voranbringen
Laeken - Sieben Seiten bedrucktes Papier - gemessen
am Gesamtumfang von Gipfelerklärungen machten die EU-Staats- und
Regierungschefs so etwas zwischendurch. Und doch könnte die
"Erklärung von Laeken" eine der Entscheidungen gewesen sein, die
einmal ins europäischen Geschichtsbuch als Wendepunkte eingehen. "Das
ist ein unglaublicher Erfolg des Europäischen Parlaments," reagierte
sofort der Abgeordnete Elmar Brok, als er am Samstag von der
überraschend schnellen Annahme der Erklärung erfuhr. Erstmals hat der
Gipfel der nächsten EU-Reform einen Konvent vorgeschaltet. Vor allem
aber hat er diesem Gremium keine Grenzen für die Reform
vorgeschrieben. "Es gibt keine Tabus mehr," freute sich
Gipfelpräsident Guy Verhofstadt sichtlich. Das könnten manche
EU-Regierungen noch bereuen. Brok weiß, wie er Gipfeltexte zum Thema Vertragsreform bewerten
muss: Schon für die EU-Reform, die im Juni 1997 in Amsterdam
beschlossen wurde, war der CDU-Politiker einer der Beobachter für das
EU-Parlament. Dann auch wieder in Nizza, wo vor einem Jahr nicht mehr
als unzureichende "Reförmchen" gewagt wurden, um die wachsende EU auf
die Zukunft vorzubereiten. Das hatten die Staats- und Regierungschefs
selber noch vor Ort einräumen müssen, um mit einem
"Post-Nizza-Prozess" sogleich wieder die nächste Reform in Auftrag zu
geben. Regelrecht ausgelacht habe man ihn, als er am Ende des
Nizza-Gipfels nach einem Konvent für die Reformvorbereitung gerufen
habe, erinnerte sich Brok.
Konvent nicht hinter verschlossenen Türen
Damals wie heute kann er auf ein erfolgreiches Beispiel verweisen,
wie in Europa in einer repräsentativ zusammengesetzten Gruppe ohne
Vorherrschaft der Regierenden Weichen gestellt werden können: In
einem Konvent wurde auch die Europäische Grundrechtscharta entworfen,
die inzwischen als Option für einen verfassungsgebenden Text der EU
gilt. Erstes Erfolgsgeheimnis eines Konvents ist, dass er
ausdrücklich nicht hinter verschlossenen Türen tagt und nicht auf
Kungeleien setzt. Damit ist ein Konvent das Gegenteil dessen, was die
EU-Regierungschefs bisher immer gemacht hatten, um die immer dicker
werdenden europäischen Verträge wieder und wieder zu überarbeiten.
Das Ergebnis waren "Überbleibsel" wie nach Amsterdam und Nizza.
Die Transparenz in der Arbeit des Konvents hat einen doppelten
Effekt. Sie sorgt für Debatten nicht nur innerhalb des Gremiums,
sondern auch in den nationalen Regierungen und Parlamenten und wird
damit auch in der Öffentlichkeit aller 15 EU-Staaten wahrgenommen.
Schafft es der Konvent, sich bei einer derart breit angelegten
Debatte auf einzelne Forderungen zu einigen, lässt sich deren
demokratische Legitimierung nicht mehr leugnen. Die EU-Regierungen
behalten nach dem Konvent zwar in einer anschließenden
Regierungskonferenz das letzte Wort. Ausdrücklich gegen eine Vorlage
des Konvents werden aber auch versammelte Staats- und Regierungschefs
kaum ankommen.
Große Verantwortung
Die Verantwortung des Konvents ist entsprechend groß. Sie wird
besonders auf dem Führungstrio innerhalb des insgesamt zwölfköpfigen
Präsidiums lasten. Brok hatte sich deshalb für den Vorsitz jemanden
gewünscht, der die Persönlichkeit und die Sachkenntnis habe, um
Konsens im Konvent zu erreichen. Das Vorbild für Brok ist auch hier
der Konvent, der unter deutschem Vorsitz die europäische
Grundrechtecharta ausgearbeitet hatte. Gemessen werden Valéry Giscard
d'Estaing und seine Stellvertreter Giuliano Amato und Jean-Luc
Dehaene daher an Alt-Bundespräsident Roman Herzog.
Tatsächlich setzt Europa bei seiner ehrgeizigen Vertragsreform
mit diesem Trio auf "alte Fahrensleute mit neuen Visionen". Schon
unmittelbar nach der Entscheidung der Staats- und Regierungschefs
beim Brüsseler EU-Gipfel gab es kritische Fragen zu dem Alter der
früheren Spitzenpolitiker, die nun bald - wieder einmal - im
Brüsseler Rampenlicht stehen werden. Ist das denn ein Signal für die
Jugend Europas? - so lautete die Frage an den amtierenden EU-
"Vorsitzenden", den belgischen Regierungschef Guy Verhofstadt. Dieser
meinte ausweichend, Giscard habe nicht viele Handicaps. "Außerdem hat
er eine gute Umgebung", fügte der noch jugendlich wirkende Belgier
vieldeutig hinzu.(APA/dpa)