Am selben Tag, als der französische Präsident Jacques Chirac als erster ausländischer Staatsmann nach zehn Jahren Isolierung zu einem offiziellen Besuch in Belgrad eintraf, ereignete sich etwas für mich ebenso Bedeutungsvolles. Während Chirac mit Präsident Kostunica zu Abend aß, tanzte ich zusammen mit etwa zehntausend Belgradern im Konzert der englischen HipHop-Gruppe Stereo MCs. Diese Band braucht keine Reklame, Sie müssen sie gar nicht kennen, sie ist einfach die erste große Band, die mein Land nach Jahren der Ausgrenzung besuchte.

Diese Band ist ein metaphorischer Fall. Als die MCs '93 in den internationalen Hitlisten auftauchten, waren sie wahre Shootingstars, fast alle Lieder ihrer ersten Platte wurden weltweit bekannt, und niemand hätte erwartet, dass sie danach sieben Jahre lang nichts mehr veröffentlichen. Doch die Band zerfiel nicht, sie sank nur irgendwie in eine Art Winterschlaf - in Erwartung von etwas, das sie neu beleben würde.

In diesem Jahr '93 hörten meine Freunde und ich die Hits der Band bei den vielen Abschiedsfesten, die wir für jene unter uns veranstalteten, die sich zur Emigration entschlossen hatten. Wir tanzten wie verrückt, hüpften im HipHop-Rhythmus in dem Versuch, ein paar Augenblicke für uns zu stehlen inmitten von Krieg, Not und Armut, Zwangsrekrutierung und täglicher Flucht nahe stehender Menschen in ein fremdes Land, aus dem es keine Rückkehr gab.

In jenem Jahr '93 sehnten wir uns nach einem guten Konzert, nach dem Besuch einer Band, die sehen würde, dass auch hier Menschen lebten und leben wollten. In der Halle, wo jetzt das Konzert stattfand, fanden '93 ausschließlich politische Meetings faschistischer Gruppierungen statt, die vor Tausenden Zuhörern martialische Parolen brüllten, Freiwillige für den heiligen Krieg warben und sie gleich an Ort und Stelle rekrutierten.

In dieser Sporthalle bejubelten Tausende Menschen den Tod, als sei er der glücklichste Moment im Leben, und zwar den Tod derjenigen, die anders waren als "wir". Und wir versteckten uns in unseren kleinen Gettos, in kalten Wohnungen, schleppten uns zu Demonstrationen oder fuhren per Autostopp zu den Fakultäten; in den Lebensmittelläden gab es damals nur Besen und Einweckgläser, stundenlang standen wir an um Brot und Milch und waren chronisch verzweifelt.

Jetzt, fast zehn Jahre später, in einem neuen Land, unter neuen Verhältnissen, ertappe ich mich dabei, dass ich wie ein Teenager tanze - bei einem Konzert, das ich viel früher hätte erleben müssen. Die Musiker auf dem Podium waren genau wie ich - gealtert, aber sie "hielten sich". Um mich herum tanzten neue Kids und sahen mich an, als gehörte ich nicht hierher. Dieselben Lieder, derselbe Rhythmus, dasselbe Gefühl, die Welt aus den Angeln heben zu können - nur ist fast ein Jahrzehnt vergangen und mit ihm das, was meine besten Jahre hätten sein können.

"Hätten wir das damals gehabt!", brüllt mir ein Freund ins Ohr. Und ich weiß genau, was er meint, weiß, dass er vorzeitig das Alter spürt, dass die Jahre umsonst vergangen sind und viele von uns diesen Augenblick, die Vertreibung des Kriegsteufels aus der hässlichen Sporthalle, durch euphorisches Hüpfen und Wiegen im Rhythmus nicht erfahren haben.

In der Nacht nach dem Konzert fahren wir durch leere Straßen, Belgrad ist kalt, Polizeistreifen bewachen die französische Botschaft, der wichtige Gast ruht nach dem wichtigen Diner aus, und wir, meine Freunde und ich, erwacht aus langem Winterschlaf, die einzigen Hiergebliebenen des Maturajahrgangs, begrüßen die eisige Nacht mit dem Refrain unseres Liedes: "See how we are living! See how we are alive!"
Übersetzung aus dem Serbischen: Barbara Antkowiak

(DER STANDARD, Printausgabe, 17.12.2001)