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Sopron/Ödenburg - Am Samstag war es wieder einmal soweit: Ödenburg feierte, wie alle Jahre um diese Zeit, Sopron. Die Kinder hatten zwar nicht schulfrei, aber statt Unterricht gab's Ausflüge in die Gegend; auf den Brennberg hinauf, aufs Eis des Neusiedler Sees hinaus, nach Fertörákos hinüber, dessen strand zum Ödenburger Hotter gehört, wie man nach dem ungarischen határ im Burgenländischen die Grenze immer noch nennt. Und dann auf den beflaggten Széchenyi-tér, über den man den Schulkindern heute schon wieder erzählen muss, dass er einst bloß eine Erweiterung des Lenin körút gewesen ist. Jenes Straßenzuges also, der dem alten Stadtgraben folgt, und zu dem alle Welt also folgerichtig várkerület sagt, Grabenrunde. Heuer war der städtische Feiertag pompöser als sonst. Immerhin hat sich am 14. und 15. Dezember die Volksabstimmung über die nationale Zugehörigkeit der Stadt zum 80. Mal gejährt. Am 5. Dezember 1921 ist das Burgenland - benannt nach den vier außerburgenländischen Burgen Pressburg/Pozsony/Bratislava, Wieselburg/Moson, Ödenburg/Sopron und Eisenburg/ Vasvár - offiziell der Republik Österreich beigetreten. Aber erst am 16. Dezember stand seine Gestalt fest: ein Land ohne Zentrum. 72,8 Prozent votierten für Ungarn. Die Umlandgemeinden von Sopron wollten mehrheitlich zu Österreich, dessen Propaganda deshalb lange von Wahlbetrug munkelte, was "ein Unsinn ist", wie Szabolcs Gimesi, polgár- mester von Sopron, meint, "den Ausschlag gaben nämlich die 20.000 poncichter." Nach dem Räteterror Béla Kuns schien den "Bohnenzüchtern" die aussichtsreichere Zukunft im autoritären, aber stabilen Regime Hórthys. Die Wiener Sozialdemokraten ähnelten den Ödenburgern zu sehr den "Leninburschen".Die ökonomisch-politische Einschätzung wurde durchaus bestätigt. Selbst die nationale Inanspruchnahme Soprons - die einzige, kleine Genugtuung in der großen Schmach von Trianon - zahlte sich für die Ödenburger aus. 1922 verlieh das Budapester Parlament der westlichsten ungarischen Stadt den Ehrentitel civitas fidelissima, und in den folgenden Jahren wurde es beinahe zur patriotischen Pflicht, einmal wenigstens die Allertreueste zu besuchen. "Die Burgenländer", sagt Szabolcs Gimesi, der Bürgermeister Ödenburgs, "haben geglaubt, sie haben Sopron verloren. Die Soproner haben geglaubt, sie haben das Burgenland verloren." Und irgendwie haben beide wohl Recht gehabt. 1965 erst hat der burgenländische Landtag Eisenstadt vom "Regierungssitz" zur "Hauptstadt" befördert. Zu früh, wie sich spätestens 1989 zeigte. Alte Rolle Seit damals wächst Ödenburg wieder in seine alte Rolle hinein. Wie selbstverständlich fahren die Burgenländer wieder in die 1946 beinahe entdeutschte Stadt: zur Fußpflege, zum Friseur, zum Zahnarzt. Die unglaubliche Ein-, nein: Auskaufshysterie der Österreicher ist einem normalen Grenzverkehr gewichen, auf den der Soproner Geschäftssinn sich eingestellt hat. Auch auf offizieller Ebene: Das Soproner Krankenhaus beherbergt die burgenländische Drogenstation. Dialysepatienten, die am Neusiedler See Urlaub machen, finden hier die entsprechende Betreuung, für den Katastrophenfall haben sich das Burgenland und seine "eigentliche Hauptstadt" längst schon vernetzt.Mag sein, dass die heurigen Feiern zur Volksabstimmung deshalb die letzten wirklich pompösen gewesen sind. Denn spätestens mit dem EU-Beitritt Ungarns werden sich die letzten 80 Jahre endgültig in historische Luft aufgelöst haben. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 17. 12. 2001)