Wien - "Wir können nicht jeden Tag einen Postsack machen. Dafür reichen unsere Kapazitäten nicht aus", erklärte Oberleutnant Martin Beck von der ABC-Abwehrschule des Bundesheeres am Montag im Gespräch mit dem STANDARD . Noch immer seien etwa zwei Drittel der 90 möglicherweise Anthrax-infizierten "Mailbags" aus der Wiener US-Botschaft nicht auf Milzbranderreger getestet.

"Die Säcke werden bei uns in luftdicht versiegelten Behältnissen gelagert", so Beck. Die Spezialisten des Heeres könnten diese nur in Schutzkleidung öffnen. "Dann wird zunächst einmal eine Wischprobe gemacht." Will heißen: Mit einer Art sterilem Wettex wird der verdächtige Postsack ausgewischt. Als zweite Probe wird ein Stück aus dem Sack herausgeschnitten.

"Durch ein Gel gejagt"

Beide Proben landen in einer Nährlösung. Wenn dort binnen 24 Stunden Bakterien heranwachsen, gibt es ein erstes Verdachtsmoment. Die Bakterien werden laut Oberleutnant Beck anhand einer "Polymerase-Kettenreaktion" (PCR) aufbereitet, ihre DNA isoliert und "durch ein Gel gejagt". Stimmen die so festgestellten Sequenzen der Bakterien-Erbsubstanz mit jenen von Anthrax überein, dann gebe es Gewissheit.

"In einer Gegenprobe versuchen wir dann, den Milzbrand rein zu züchten. Gelingt uns das, wird damit in der Bundesversuchsanstalt in Mödling eine Maus geimpft", so Beck. Erkranke das Tier, sei es 100-prozentig sicher, dass sich in einem Postsack Anthrax-Erreger befunden hätten. Zwischen einem ersten Verdacht, der sich laut dem Spezialisten in zwölf bis 24 Stunden ergibt, und der definitiven Gewissheit vergeht mindestens eine Woche.

ABC-Nachtschichten

"Das erklärt das langsame Vorankommen", so der Offizier der ABC-Abwehrschule. "Wir arbeiten derzeit unter Hochdruck und auch in Nachtschichten, aber schneller geht es eben nicht." Es werde noch bis weit in das nächste Jahr dauern, bis alle Postsäcke der US-Diplomatensendung untersucht seien.

Um welchen Stamm genau es sich bei dem bereits festgestellten Anthrax handelt und ob dieser allenfalls aus einem Biowaffenprogramm kommt, konnte Beck indes nicht sagen. Die Proben würden nach Amerika geschickt und dort mit amerikanischen Beständen verglichen. Dies bestätige allerdings bereits bekannte Vermutungen: "Dass uns die Amerikaner keine Vergleichsproben schicken, deutet ziemlich stark darauf hin, dass die Erreger aus ihrer militärischen Produktion kommen." (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 18.12.2001)