Ursula Kneiss

Wien - Sie sind ein Team: Michael Klien, die Ko-Choreographen Nicholas Mortimore und Davide Terlingo sowie der Komponist Volkmar Klien. Unter dem Label Barriedale Operahouse kreiert das interdisziplinäre Künstlerkollektiv seit Mitte der 90er-Jahre von London aus international geschätzte und preisgekrönte Tanzstücke, Performances und Installationen. In Wien, der Heimatstadt der Brüder Klien, bringt das Team am Donnerstag mit dem Ballett der Volksoper und dem Tanztheater Wien Nodding Dog zur Uraufführung und verwandelt damit die Volksopernbühne in eine Art computergesteuertes Miniuniversum. Michael Klien, geboren 1973, ging Anfang der 90er-Jahre nach London, um Choreograph zu werden, absolvierte seine Ausbildung am renommierten Laban Center und reüssierte rasch innerhalb der britischen Tanzszene. Heute sieht er sich in der Tradition des abstrakten Formalismus, nennt den Neoklassiker George Balanchine und den radikalen Modernen Merce Cunningham als seine Vorbilder. Seine eigene Zukunft verspricht er sich im zeitgenössischen Ballett. Klien schätzt die Formstrenge des klassisch ausgebildeten Tänzers. So wird er im März mit dem Ballett Frankfurt das Duett Duplex zur Uraufführung bringen, zuvor gastiert die griechische Prosxima Dance Company mit einer Barriedale-Operahouse-Produktion im Tanzquartier, und für Herbst erarbeitet Klien in Kooperation mit dem TQW und dem ZKM Karlsruhe ein Quartett. Mit seinem Team begann Michael Klien vor drei Jahren mit der Entwicklung der Software ChoreoGraph , eine Art Baukastensystem, das den Tänzer via Computer mit vorher festgelegten Strukturelementen versorgt, nach denen sich dieser im Moment der Aufführung zu richten hat. Vereinfacht kommt diese Software auch bei Nodding Dog zum Einsatz. Der Titel Nickender Hund oder Wackeldackel meint jenes Maskottchen, das sich vornehmlich im Fond eines Autos befindet und je nach Fahrtgeschwindigkeit und Straßenlage in Bewegung gesetzt wird. Solche Impulse liefern in Nodding Dog für die Tänzer, den Dirigenten, die Techniker und teils für das Publikum sichtbare, computergesteuerte Monitore. Sie wirken wie eine mobile Grafik, die Michael Klien mit einem "sich von Vorstellung zu Vorstellung verändernden Stadtplan" vergleicht.
Sieben Systeme
Ähnlich einer Notation oder Partitur werden so Zeitspanne, Auf- und Abtritte und das jeweils aktive "System" vorgegeben. Jeder der zehn Tänzer beherrscht drei von sieben Systemen, die aus jeweils festgelegten Schritten und Bewegungssequenzen bestehen. "Wir haben den Tänzern Vokabular und Grammatik beigebracht. Die Sätze müssen sie selber formen. Jeder spricht die Sprache des klassischen Tanzes, allerdings mit grobem Akzent; jeder hat eine andere Ausbildung und einen anderen Hintergrund. Der jeweilige Akzent kann aber durchaus Charme versprühen", meint Michael Klien im S TANDARD -Gespräch. Dank Volksopernballettchefin Liz King hat das mittlerweile in Wien angesiedelte Choreographentrio ideale Arbeitsbedingungen vorgefunden: Geprobt wird seit Mitte September. Immerhin modelliert man an einer in der jeweiligen Jetztzeit auf der Bühne stattfindenden Gesellschaftsform, die sich aus sieben unterschiedlichen Gruppierungen zusammensetzt. Dazu Michael Klien: "Wir spiegeln keine Gesellschaft. Auf der Bühne zeigen wir das tägliche Leben eines kleinen Volkes, das sich nach bestimmten Regeln zu verhalten hat. Es liegt an den Tänzern, ob und wie sich daraus Mechanismen zwischenmensch- licher Beziehung ergeben werden."

Auch innerhalb der, zwar größtenteils fix notierten, Komposition für 15 Orchestermusiker (Streicher, Bläser, Schlagwerk und Klavier) von Volkmar Klien gibt es offenen Spielraum, dessen Regeln Dirigent Rick Stengards zu steuern hat. Für die Ausstattung von Nodding Dog zeichnen Rafal Kosakowski (Video) und Simon Frearson (Kostüme).

(DER STANDARD, Print, 19.12.2001)