Indien wird nicht stillsitzen können nach dem Terroranschlag auf sein Parlament. Viel zu groß ist die Provokation - nach einem Selbstmordanschlag auf das Regionalparlament im indischen Teil Kaschmirs im September haben mutmaßlich pakistanische Extremisten das politische Machtzentrum in Neu-Delhi zum Ziel genommen; viel zu sehr steht die notdürftig zusammengehaltene Hindu-Koalition des indischen Premiers Vajpayee unter dem Druck der Bevölkerung. Die will eine militärische Antwort sehen gegen Pakistan und dessen Kaschmir-Extremisten.

Im Ton sind die beiden Staaten ohnehin nie zimperlich gewesen. "Indien will nur eines. Es will uns schaden", behauptete Pakistans Präsident Musharraf in einem Interview kurz vor dem Anschlag auf das Parlament. "Die Strafe wird so schwer wie das Verbrechen sein", kündigte Indiens Regierungschef Vajpayee nun an. Denn der Anschlag hat ein mittlerweile gängiges Muster ausgelöst: Es ist Zeit für einen weiteren Krieg gegen den Terror.

Mehr und mehr avanciert der Rekurs auf den 11. September zum Freibrief für den Übergriff auf Souveränitätsrechte - vertraglich garantierten im Fall der Palästinenser, staatlichen wie jetzt im Fall von Pakistan. Die USA sind so gesehen Opfer ihres eigenen Erfolgs in Afghanistan geworden: Die Mitglieder der internationalen Antiterrorkoalition machen sich selbstständig. Während die indische Regierung nun Art und Umfang eines Militärschlags gegen das Nachbarland erwägt, wird sich Washington rasch mit der Entspannung zwischen den beiden Atommächten beschäftigen müssen. Delhi hat von der Regierung in Islamabad die Zerschlagung zweier extremistischer Muslimorganisationen verlangt, die angeblich an dem Terrorangriff auf das Parlament beteiligt waren. Die USA werden Pakistans Präsidenten wohl Denkhilfe geben. (DER STANDARD, Print-Ausgabe vom 19.12.2001)