Die genauen Zahlen kamen Mitte Oktober, ein paar Tage nach Beginn der US-Militärkampagne in Afghanistan. Die in Wien ansässige UNO-Drogenkontrollbehörde (UNDCP) meldete einen sensationellen Rückgang des Mohnanbaus in Afghanistan im Jahr 2001: 94 Prozent weniger Opium würde das Land, aus dem im Jahr 2000 noch 70 Prozent des weltweit gehandelten Opiums kamen, heuer produzieren.

In der Provinz Helmand, wo im Jahr zuvor auf 43.000 Hektar Mohn angebaut wurde, gab es keinen mehr - das zeigten die Satellitenbilder, hatte bereits im Juni ein Drogenexperte des US-Außenministeriums dem STANDARD berichtet. Ein kleines Wunder: Die Taliban hatten die Opiumproduktion per religiöses Gutachten verboten und dieses Verbot auch durchgesetzt. In Taliban-Afghanistan wurde kein Rauschgift mehr produziert.

Oder doch kein Wunder? Die Lager, kommentierten manche Drogenexperten, in Afghanistan seien so voll, dass der Markt in Europa auch bei Anbaustopp weitere drei Jahre versorgt werden könne - und mit viel mehr Profit für jene, die die Vorräte besitzen, also die Taliban. Denn der Preis schnellte nach Bekanntwerden der Taliban-Fatwa sofort in die Höhe. Außerdem gehe ein Teil des Anbaurückgangs auf das Konto der jahrelangen Trockenheit in der Region, so die Pessimisten.

Drei Raffinerien

Die Freude trübte aber noch etwas, nämlich dass in der - von der Nordallianz kontrollierten - Provinz Badakhshan die Produktion gleichzeitig um 160 Prozent angewachsen war; eine andere Region, Samangan, die bis dahin weitgehend sauber gewesen war, stieg gerade in den Anbau ein. Dort, wo keine Taliban waren, gab es eben auch keinen Bann. Reisende berichteten, dass der ach so fromme, international anerkannte Nordallianz-Präsident Burhanuddin Rabbani, der am 22. Dezember in Kabul der Interimsregierung die Macht übergeben soll, quasi in Sichtweite der von ihm kontrollierten Stadt Faizabad gleich drei Raffinerien duldete. Die Nordallianz-Gouverneure machten genau das, was bis zum Anbauverbot auch die Taliban gemacht hatten: Sie verlangten satte Steuern auf Opiumproduktion und -handel und finanzierten dadurch ihre Kriegsmaschinerie.

Darum fragen sich heute die Drogenexperten mit Sorge, ob die Nordallianz, aus der ja ein großer Teil der kommenden Regierung stammt, ihren laschen Umgang mit dem Opium fortsetzt. Die afghanischen Bauern scheinen jedenfalls damit zu rechnen. Mitte Oktober, als die UNDCP ihre Sensationszahlen ausschickte, begannen sie nämlich gerade mit der Aussaat - von Mohn, und auch in den vorher von den Taliban vom Rauschgift gesäuberten Gebieten.

"Die Alternative für die Farmer heißt sterben", geben sich auch Drogenexperten verständnisvoll, angesichts der völlig unsicheren Zukunft im Krieg hatten die afghanischen Bauern eben auf das lukrativste Produkt gesetzt, das zwar arbeitsintensiv ist, aber wesentlich weniger Wasser braucht und robuster ist als Getreide oder Mais und rund dreißigmal so viel Geld bringt. Unmittelbar nach den ersten US-Angriffen seien auch die Drogenhändler auf der Szene erschienen, heißt es, und hätten den Bauern hohe Vorschüsse auf die Ernte 2002 bezahlt. Wenn das Geld erst einmal angenommen ist, gibt es keinen Weg mehr zurück. Manche Bauern sagen offen, dass sie nach der ersten Ernte im Frühjahr sofort für eine zweite im Herbst aussäen werden.

Und die neuen Machthaber? Der UNDCP-Vertreter in Islamabad, Bernard Frahi, hofft zweckoptimistisch auf eine gute Zusammenarbeit (siehe Interview unten), die Signale sind unterschiedlich. Nicht nur Außenminister Abdullah, auch Innenminister Yunis Qanuni verspricht, mit der UNDCP kooperieren zu wollen. Laut New York Times sagen andere, nicht so prominente Quellen, dass "die Behörden noch nicht entschieden haben, ob sie den Bauern den Mohnanbau erlauben oder verbieten werden". Und wenn die Regierung mittut, heißt das noch lange nicht, dass ihr alle Provinzkaiser folgen.

Deshalb sind die Befürchtungen groß, Horrorgeschichten über ein neues flüssiges Opiumprodukt, genannt "Tränen Allahs" zirkulieren, und es heißt, dass der Markt in Europa bald mit billigem Opium, dem Ausgangsprodukt für Heroin, überschwemmt werden wird, da jene Taliban und Qa'ida-Mitglieder, denen die Flucht gelungen ist, Bargeld brauchen und ihre Vorräte verkaufen. Hinter vorgehaltener Hand äußern Experten auch die Befürchtung, dass die USA dieses Problem im Grunde wenig interessiert, weil der Löwenanteil des afghanischen Rauschgifts immer schon in Europa und nicht in den USA landete, anders herum, 90 Prozent des in Europa konsumierten Heroins stammen von afghanischem Opium. Zu den hauptbetroffenen Staaten gehört Russland, besonders da befürchtet wird, dass durch die guten Beziehungen der siegreichen Nordallianz zu den zentralasiatischen Staaten die nördlichen Drogenrouten boomen werden.

Aber es ist nicht etwa so, dass die Afghanen selbst der Droge gegenüber immun wären. Speziell Volksgruppen, denen es unter den Taliban besonders schlecht ging, gelten als gefährdet. Bei den (schiitischen) Ismaeliten und den wenigen verbliebenen kirgisischen Nomaden ist die Drogensucht besonders weit verbreitet, und generell entlang der Drogenrouten, wo das Rauschgift am billigsten ist.

Kein Geld für Taliban

Viel hängt also daran, dass die UNDCP in Afghanistan ihren Erfolg wiederholen kann, den sie, aus welchen Gründen auch immer, bei den Taliban hatte. Für Alternativprogramme, mit denen den afghanischen Bauern der Ausstieg erleichtert wurde, hatte die UNDCP kaum Geld, denn der Name Taliban regte die Geberstaaten nicht gerade zum Spenden an. Bei der neuen Interimsregierung sollte das, auch wenn es Fragezeichen gibt, anders sein. Am wichtigsten ist, dass die neuen Machthaber die Afghanen durch die Zeit des Wiederaufbaus bringen, ob das ohne die Einnahmen aus dem Drogenanbau gehen wird, liegt an der internationalen Gemeinschaft. (DER STANDARD, Print-Ausgabe vom 20.12.2001)