von Stefan Ender
Wien - An dem Abend, als Wien Wladiwostok war, schickte sich die Kammeroper an, spanische Operette zu spielen. Zarzuela lautet die ortsübliche Bezeichnung, 1874 (wir kramen in den Geschichtsbüchern) gab's die erste richtige, anerkannte, gefeierte "El barberillo de Lavapiés" von Francisco Barbieri. Und gerade zur rechten Zeit! Der spanische Nationalstolz lag darnieder, Cervantes, Caldéron, Velásquez und Co: alles schon lange vorbei. Da kam Barbieri, remodelte die fast vergessene Bühnengattung, geschickt heimische Sujets mit ebensolchen Melodien kombinierend.

Auch heute noch schmeichelt Barbieris Tonkunst dem Ohr: leichte, beschwingte Einfälle, ab und zu nettes Kastagnettengeklappere. Ernst Ludwig Reiters Einrichtung für Kammerensemble bewahrte Barbieris Charme, à la longue sehnte man sich aber doch nach etwas mehr Power und etwas weniger Pauschalerregung aus dem Orchestergraben (Leitung: José Fabra).

Barbieris Blockbuster entzieht den "Figaro"-Stoff dem Beaumarchaisschen Adelspalais und verlegt ihn ins Großstadtgetümmel Madrids. Regisseur Lutz E. Seelig trug diesem Fakt Rechnung und ließ Volk wie Protagonisten in einer Tour herumquirlen, Ferdinando Chefalo unterstützte ihn hierbei mit seinen Choreographien. Segensreich, dass sich so viel tat, denn das angejahrte Einheitsbühnenbild Hans Winklers war öde.

Die Sänger: Salvador Fernandéz (Don Pedro) schien mit seinem Zeitlupenstechschritt einem klassen C-Schocker Ed Woods entsprungen, er und seine Kollegen sangen solide bis spröde. Alfredo Garcia gelang ein sehenswertes "Barbierchen", qirlig, ölig, voller Geschmeidigkeit und Kraft in Spiel und Gesang.

Gerne würde man schreiben, dass einem, während draußen die Winde wüteten, die spanischen Klänge das Herz wärmten. Dem war nicht wirklich so. Immerhin: Endlich wieder einmal eine einigermaßen passable Produktion der Kammeroper. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 20.12. 2001)