Argentinien
Regierungskrise stürzt Land ins Chaos
Rücktritt des Wirtschaftsministers Cavallo angenommen - Tote und Verletzte nach Unruhen und Plünderungen
Buenos Aires - Das von einer schweren
Wirtschafts- und Schuldenkrise erschütterte Argentinien ist nunmehr
auch in eine ernste Regierungskrise geschlittert. Argentiniens
Präsident Fernando de la Rua hat nach Informationen aus
Regierungskreisen den Rücktritt des Wirtschaftsministers Domingo
Cavallo, des Initiators der Sparmaßnahmen, gegen die sich die
Proteste der Bevölkerung richten, angenommen. Unter dem Druck der
Proteste und Plünderungen im Land, bei denen Tote und Verletzte zu
beklagen waren, hatten auch alle anderen Minister ihren Rücktritt
abgeboten. Ob der Präsident sie annahm, blieb zunächst offen. De la
Rua hat wegen der Plünderungen zunächst für 30 Tage den
Ausnahmezustand über das Land verhängt. Noch für Donnerstag war ein Treffen des Präsidenten mit den
einflussreichen und in der Mehrzahl oppositionellen
Provinzgouverneuren geplant. Dabei sollte es um die Bildung einer
neuen Regierung gehen.
Die Mitte-Links-Regierung in Buenos Aires kämpft mit einem
Schuldenberg von 132 Milliarden Dollar, einer seit vier Jahren
andauernden Rezession und einer Arbeitslosenquote von 18,3 Prozent.
Sie bemüht sich um Hilfen des Internationalen Währungsfonds (IWF),
der einen strikten Sparkurs für die Gewährung weiterer Mittel zur
Bedingung macht.
"Feinde der Republik"
Kurz vor der Nachricht über den Rücktritt Cavallos löste die
Polizei in Buenos Aires eine überwiegend friedlich verlaufene
Demonstration auf. Die Demonstranten lärmten mit Töpfen und Pfannen
und warfen Präsident De la Rua Versagen vor und forderten dessen
Rücktritt. Bei anschließenden gewaltsamen Auseinandersetzungen
zündeten Demonstranten vor dem Präsidentenpalast Autos an und warfen
Schaufenster von Banken ein. In einer vom Fernsehen ausgestrahlten
Ansprache rief De la Rua zu einer parteiübergreifenden Zusammenarbeit
auf und machte für die Ausschreitungen "Feinde der Republik"
verantwortlich.
Anfang des Monats hatte die Regierung aus Sorge vor einem Sturm
auf die Banken Barabhebungen von Privatkunden auf 250 Dollar pro
Woche begrenzt. Zudem hatte sie die staatlichen Gehälter und
Pensionen um 13 Prozent gekürzt. Um die aufgebrachte Bevölkerung zu
beruhigen, wies die Regierung unterdessen Lebensmittelhilfen in Höhe
von sieben Millionen Dollar an.
Der Internationale Währungsfonds (IWF) sieht bisher kaum Anzeichen
dafür, dass die politische und wirtschaftliche Krise in Argentinien
auch andere Schwellenländern belastet. Deren Devisenmärkte reagierten
am Donnerstag kaum auf die Regierungskrise in Argentinien. Der
brasilianische Real und der mexikanische Peso tendierten nahezu
unverändert. Die Märkte warteten zunächst die weitere Entwicklung in
Argentinien ab, sagten Händler. Einige Experten sagten, ohne
Wirtschaftsminister Cavallo sei ein Kollaps des mit 132 Milliarden
Dollar verschuldeten Landes näher gerückt. Der IWF hatte in seinem
jüngst vorgelegten Zwischenbericht zum Weltwirtschaftsausblick
betont, das Ansteckungsrisiko der argentinischen Krise sei begrenzt,
da die Investoren aus den Erfahrungen vergangener Krisen in
Schwellenländern gelernt hätten. Daher hätten sie rechtzeitig
Vorkehrungen getroffen und ihr Kapital breit gestreut. Der IWF hatte
Anfang Dezember eine Kredittranche für Argentinien über 1,3
Milliarden Dollar eingefroren. Dies ließ an den Finanzmärkten erneut
Sorgen über eine drohende Zahlungsunfähigkeit des rezessionsgeplagten
Landes aufkommen. (APA/Reuters)