Wien - Das UNO-Flüchtlingshochkommissariat (UNHCR) zeigt sich äußerst besorgt über die explodierende Zahl obdachloser Asylwerber in Österreich. Nach dem STANDARD-Bericht über die Abweisung von Flüchtlingen durch restlos überfüllte staatliche und private Einrichtungen ließ sich die Wiener UNHCR-Chefin Karola Paul Bericht erstatten. Fazit: "Es ist erschütternd. Betroffene, die etwa bei Minusgraden in Telefonzellen übernachten müssen, kämpfen buchstäblich ums Überleben", sagte Paul Donnerstag. Von fairen Asylverfahren könne keine Rede sein.Vertreter privater Hilfsorganisationen Wie dramatisch die Situation ist, schilderten mehrere Vertreter privater Hilfsorganisationen: Der Flüchtlingsdienst der evangelischen Diakonie beim (vom Bund finanzierten) Flüchtlingslager Traiskirchen muss wegen Überfüllung wöchentlich rund 50 Menschen wegschicken. "Im Pfarrgemeindesaal haben wird noch 20 Notschlafplätze auf dem Fußboden eingerichtet. Jetzt sind wir am Ende", schilderte ein Sprecher der Diakonie. Ähnlich geht es der Caritas in Wien, wo im Keller ein Matratzenlager aufgebaut wurde. Trotzdem müssen auch hier wöchentlich bis zu 50 Hilfesuchende abgewiesen werden. Die NGO-Plattform "ÖsterREICH für alle GLEICH" machte Innenminister Ernst Strasser (VP) in einer E-Mail-Aktion auf die bedrohliche Situation aufmerksam. Der Minister ließ antworten, dass eine generelle Aufnahme aller Antragsteller im Rahmen der gegenwärtigen Gesetzeslage nicht möglich sei. Bei Grenz-oder Härtefällen sei man um humanitäre Lösungen bemüht. Es sei aber keinesfalls möglich, "jener nicht unbeträchtlichen Anzahl von Personen Unterstützung einzuräumen, die mit einer vorgetäuschten Hilfsbedürftigkeit versuchen, in Bundesbetreuung zu gelangen". Schmarotzer Die letzte Passage ärgert UNHCR-Chefin Paul: "Diese Schmarotzer-Unterstellung erscheint mir angesichts der ernsten Lage als unangebracht." Dass in Österreich überhaupt Asylwerber auf der Straße landen, hängt mit der stark eingeschränkten Bundesbetreuung (Unterkunft, Verpflegung, medizinische Grundversorgung) für Asylwerber zusammen. Es gibt keinen Rechtsanspruch auf staatliche Hilfe. Im Gegensatz zu den meisten anderen europäischen Ländern, wo sich der Staat ausnahmslos um alle Flüchtlinge kümmert, wird dies in Österreich nur einem Drittel gewährt. Zwei von drei Asylwerbern werden von privaten Helfern versorgt. "Die Republik Österreich tritt ihre menschenrechtlichen Verpflichtungen mit Füßen", kritisiert Heinz Patzelt, Generalsekretär von Amnesty International Österreich. Man fordere seit langem, dass sich Österreich davon verabschieden solle, Asylrecht als Gnadenrecht zu praktizieren. Das heurige Jahr wird mit großer Wahrscheinlich ein Rekordjahr, was die Zahl von Asylanträgen betrifft. Im Innenministerium rechnet man mit mehr als 30.000 Anträgen, im Vorjahr waren es 20.000. (Michael Simoner, DER STANDARD Print-Ausgabe 21.12.2001)