International
Hamid Karsai
Königstreuer Paschtune und Feind der Taliban
Berlin - Am Samstag übernimmt der afghanische
Paschtunenführer Hamid Karsai als Chef der Übergangsregierung
Afghanistans die Herrschaft. Damit versucht das Land nach Jahrzehnten
der Fremdherrschaft, des Bürgerkrieges und der Taliban-Herrschaft
einen politischen Neuanfang. Karsais Mischung aus Modernität und
Traditionsbewusstsein hatte ihm Anfang Dezember die Unterstützung
aller Parteien bei der Afghanistan-Konferenz auf dem Petersberg bei
Bonn eingebracht. Während sich die vier Parteien in behaglicher
Atmosphäre um die Aufteilung der Macht stritten, kämpfte Karsai im
fernen Afghanistan gegen die Taliban in deren letzter Bastion
Kandahar. Karsai bringt für die neue Aufgabe die besten Voraussetzungen mit:
Als Chef des Popalsai-Stammes im Süden Afghanistans führt er eine
große Paschtunen-Gruppe an. Die Paschtunen stellen rund 40 Prozent
der Bevölkerung in dem westasiatischen Land. Karsais Familie blickt
außerdem auf eine lange Tradition in der öffentlichen Verwaltung des
Landes zurück. Sein Vater war als Politiker einem Attentat zum Opfer
gefallen, das den Taliban zugeschrieben wurde. Sein Großvater war
unter König Mohammed Zahir Shah Präsident des Nationalrates bis zu
dessen Entmachtung 1973. Hinzu kommt: Karsai lebte überwiegend in
Afghanistan, während viele der künftigen Regierungsmitglieder
jahrelang im, zumeist westlichen, Exil verbracht haben.
Zur Petersberger Konferenz ließ sich Karsai aus dem Kampfgebiet in
Afghanistan telefonisch durchstellen: "Dieses Treffen ist der Weg zum
Heil. Wir sind eine Nation, haben eine Kultur. Wir sind vereint,
nicht geteilt. Wir glauben alle an den Islam, aber an einen
toleranten Islam", sagt er. Der Appell machte einen großen Eindruck
auf die versammelten Afghanen.
Mit 46 Jahren gehört Karsai in Afghanistan bereits zu den
erfahrenen Stammesfürsten mit politischer Erfahrung. Von 1992 bis
1994 war er stellvertretender Außenminister der
Mudschahedin-Regierung (Gotteskrieger), die die sowjetische
Besatzungsmacht vertrieben hatte. Einen Teil der 80er Jahre
verbrachte er in den Vereinigten Staaten, wo er mit seiner Familie in
Chicago, San Francisco, Boston und Baltimore eine Kette afghanischer
Restaurants aufzog. Karsai spricht fließend englisch. Vor
Fernsehkameras wirkt der große Mann mit kurz geschnittenem
ergrauenden Bart und Glatze gewöhnlich gut gelaunt und gelassen.
Die Taliban, die Karsai seit Anfang Oktober mit großem Einsatz
bekämpft, hatten anfangs seine Sympathie, versprachen sie doch, Chaos
und Rechtlosigkeit nach dem Abzug der Sowjets zu beenden. Schon bald
brach er aber mit den islamischen Radikalen und warf ihnen vor, von
arabischen und pakistanischen Extremisten bestimmt zu werden. "Sie
lernen das Schießen auf lebendige Ziele und diese lebendigen Ziele
sind das afghanische Volk. Wir wollen sie raushaben", erklärte er.
Gemeinsam mit seinem Vater Abdul Ahad Karsai, einem Senator während
der Monarchie, gründete er 1997 in Pakistan eine
Anti-Taliban-Bewegung.
Diplomaten bescheinigen Karsai die für seine künftige Aufgabe
unerlässliche Fähigkeit zu integrieren. Dabei dürfte ihm auch helfen,
dass der Mann mit keiner der fast unübersichtlich großen Zahl von
ethnischen und sozialen Gruppen in Afghanistan verfeindet ist. (APA/Reuters)