Buenos Aires/Montevideo - Nach der Demission von Präsident Fernando de la Rúa hat sich am Freitag die Lage auf den Straßen Argentiniens beruhigt. Noch bevor der Rücktritt wirksam wurde, hob De la Rúa den seit Donnerstag null Uhr geltenden Ausnahmezustand wieder auf. Nach zweitägigen Plünderungen und blutigen Straßenprotesten mit mindestens 25 Toten hatte der Präsident am Donnerstagabend sein Rücktrittsgesucheingereicht. Der Kongress trat am Freitag zusammen, um innerhalb von 48 Stunden über eine Nachfolge entscheiden. Laut der Verfassung übernahm der Senatspräsident Ramón Puerta von den oppositionellen Peronisten vorübergehend die Staatsgeschäfte. Der Posten des Vizepräsidenten ist seit dem Rücktritt von Carlos Alvárez im Oktober 2000 vakant. Alvárez war Ende 1999 zusammen mit De la Rúa direkt gewählt worden. Puerta erklärte, das Amt nur für 48 Stunden ausüben zu wollen, und sprach sich für Neuwahlen innerhalb von 60 Tagen aus. Zu den Kandidaten, die ins Gespräch gebracht wurden, gehörte Senator Eduardo Duhalde, der bei der Präsidentenwahl 1999 de la Rúa unterlegen war. Unter den Anwärtern befindet sich Senator Eduardo Duhalde. Vorgezogene Neuwahlen sind ein weiteres Szenario, das nicht auszuschließen ist, zumal die Peronisten untereinander zerstritten sind und mehrere Anwärter auf das oberste Staatsamt haben. Nein der Peronisten De la Rúa zeigte sich enttäuscht über die Haltung der Peronisten, die eine parteiübergreifende Regierung derNationalen Einheit verweigert hatten. Er bedauere die Gewalt, die just in einem Moment um sich gegriffen habe, in dem Argentinien es geschafft habe, seine Schuldenlast durch Umstrukturierung zu erleichtern. "Das Volk muss verstehen, dass Entscheidungen nicht frei getroffen werden", sagte de la Rúa, der knapp zwei Jahre im Amt gewesen war. Die soziale Revolte hatte schließlich zu seinem Sturz geführt. In Argentinien lebt ein Drittel der 36 Millionen Einwohner in Armut, 18 Prozent gelten offiziell als arbeitslos. Die argentinische Bischofskonferenz und Papst Johannes Paul II. forderten am Freitag ein sofortiges Ende der Gewalt. Auch die internationalen Institutionen müssten verstehen, "dass sich die Bürger Argentiniens in einer unerträglichen Lage befinden und nicht mehr bereit sind, für Schulden aufzukommen, für die sie nicht verantwortlich sind", erklärte der Vorsitzende der Bischofskonferenz, Erzbischof Estanislao Esteban Karlic, in Buenos Aires. "Anfrage an die Moral" Bei dem Generalstreik vor einer Woche hatte die Bischofskonferenz in einem gemeinsamen Dokument die Situation als "Anfrage an die Moral" bezeichnet. Sie rief zum Dialog und zur Aufrechterhaltung der Hoffnung auf. Bischof Hector Sabatino gründete in der Folge in Concordia eine Kommission, um die Plünderung der Supermärkte zu stoppen. Concordia ist die Stadt mit der zurzeit höchsten Arbeitslosenrate Argentiniens(19,3 Prozent). (DER STANDARD, Printausgabe, 22.12.2001)