Nach tagelangen Plünderungen und Straßenschlachten mit mehr als zwanzig Toten gab Argentiniens Präsident auf, um "weitere Opfer zu vermeiden". Für sein Scheitern machte Fernando de la Rúa, dessen "Radikale Bürgerunion" sozialdemokratisch ausgerichtet ist, die oppositionellen Peronisten verantwortlich. Obwohl Argentinien vor dem Staatsbankrott steht, hatten die Peronisten (die im Kongress die Mehrheit haben) sein Ersuchen abgelehnt, in die Regierung einzutreten.

De la Rúas Parteigänger glauben auch, dass die Streiks und Straßenblockaden empörter Bürger lange nicht so spontan waren, wie es im Fernsehen aussah. Sie vermuten dahinter peronistische Anstifter.

Die Hauptverantwortung für das Chaos trägt aber der Präsident. 1999 war er mit dem Versprechen angetreten, in Argentinien eine "neue Nation" zu schaffen. Es galt, mit der Korruption und Verschwendung aufzuräumen, mit der sein peronistischer Vorgänger Carlos Menem nach einigen makroökonomisch erfolgreichen Jahren die Talfahrt begonnen hatte.

Menem hatte das Land neoliberal umgekrempelt, Auslandskredite aufgenommen und den Arbeitsmarkt flexibilisiert - ein Schritt, der in Argentinien nur einem Peronisten möglich ist. Als de la Rúa versuchte, die auf über 100 Milliarden Dollar angewachsenen Auslandsschulden durch staatliche Sparprogramme abzubauen, riefen die peronistischen Gewerkschaften sofort zu Streiks auf.

Aber auch wohlhabende Argentinier fassten kein Vertrauen - sie legten ihr Kapital lieber im Ausland an. Der Präsident gelobte dem Internationalen Währungsfonds (IWF), nur noch so viel auszugeben, wie durch die Steuereinnahmen hereinkam. Zur Erreichung des Nulldefizits wurden Bildungs- und Sozialausgaben gesenkt, Pensionen und Beamtengehälter gekürzt. Millionen Menschen sanken in Armut; auch die Mittelschicht wurde schwer getroffen. Als die Regierung vor Weihnachten auch noch die privaten Bankkonten einfror, schwoll die Unzufriedenheit zum Massenprotest an.

Politische Alternativen sind aber kaum in Sicht. Der Jurist de la Rúa hat schon vor einem halben Jahr den politischen Wunderheiler der Peronisten, Domingo Cavallo, als Retter in die Regierung geholt. Anfang der 90er-Jahre stoppte der in Harvard ausgebildete Ökonom Argentiniens Hyperinflation. Doch jetzt wurde Cavallos Rezept zum Sargnagel.

Damals hatte er der ewigen Versuchung argentinischer Regierungen, zur Begleichung der Staatsausgaben einfach Geld zu drucken, einen Riegel vorgeschoben. Der Peso wurde eins zu eins an den Dollar gebunden; es durfte - mit wenigen Abweichungen - nur so viel Geld in Umlauf kommen, als es an Dollarreserven gab.

Doch die Bindung an den Dollar machte die Exporte teuer, eine Abwertung war auch in der Rezession nicht möglich, die Abwärtsspirale beschleunigte sich.

Jetzt wird dem IWF, der neue Kredite von der Einhaltung des Nulldefizits abhängig machte, von Globalisierungskritikern, aber auch von Österreichs in Argentinien lebendem Altbundeskanzler Viktor Klima vorgeworfen, er hätte die Bevölkerung in die Verzweiflung getrieben. Soziale Sparmaßnahmen zu verlangen, die ein Volk ruinieren, ist tatsächlich inakzeptabel (auch wenn man einem politisch unfähigen Schuldnerland nicht ewig Kredite nachwerfen kann). Unbegreiflich ist auch, warum IWF und Weltbank Cavallos Plan akzeptierten, die Dollarbindung beizubehalten, obwohl das Fiasko abzusehen war. Nach dieser Erfahrung wirkt es nicht sehr glaubwürdig, wenn der IWF nun "kaum Anzeichen" für ein Übergreifen der Argentinienkrise auf andere Länder sieht.

Jetzt werden wohl wieder die Peronisten an die Regierung kommen. Es dringt bereits durch, dass sie an eine massive Abwertung des Peso denken. Dazu soll ein umfassendes Sozialprogramm (Arbeitslosengeld, Armenunterstützung) kommen. Finanziert werden soll es durch zusätzliche Steuern - und durch das Drucken von Geld.

(DER STANDARD, Printausgabe, 22.12.2001)