Graz - So wünschenswert die enthemmende Wirkung eines Liebestranks in bestimmten privaten Situationen auch sein mag, so unangenehm kann solche Enthemmung berühren, ufert sie in Bereiche aus, wo sie eigentlich ganz und gar nicht am Platz ist, wie etwa in einer Grazer Premiere von Gaetano Donizettis gleichnamiger Oper. Wirklich nichts gegen ein kulinarisch akzentuiertes Kontrastprogramm zu manchen besucherfeindlichen inszenatorischen Krämpfen; nichts gegen Opulenz, wie man sie mit der aus dem sonnigen Los Angeles stammenden Ausstattung von Johan Engels eingekauft hat. Doch ein großzügiges, nostalgisch geschönte Ländlichkeit suggerierendes Bühnenbild macht noch keine Oper. L'elisir d'amore will wohl auch gespielt sein, durch Musik und Szene. Bedauerlicherweise war in beiden Bereichen überwiegend contenanceloses Gehenlassen angesagt. Wie die Inszenierung von Stephen Lawless ursprünglich ausgesehen haben mag, ist aus dem verwaschenen Handlungsarrangement von Christopher Harlan nicht einmal andeutungsweise zu entnehmen. Ein überwiegend sich selbst überlassener Chor und ziemlich verloren über die Bühne irrende Solisten, die mitunter auch noch aus dem Hintergrund singen müssen, genügen heute nicht einmal mehr für den Abschlussabend einer Opernklasse. Der allfällige Hinweis, bei den Gestalten in Donizettis L'elisir d'amore handle es sich keineswegs um leicht bizarre Komik-Marionetten wie in Rossinis Barbiere , sondern schon beinah um romantisch empfindende Menschen, ist für die Konsequenz, mit der die Akteure ohne Kontur und ihre Aktionen ohne dramatischen Biss blieben, kein Argument. Dies umso weniger, als Donizettis federleichte Wechsel zwischen Klischee und Psychologie nicht einmal anklangen. Im Gegenteil: Lodovico Zocche errichtete durch die von ihm dynamisch durchwegs übersteuerte Instrumentalbegleitung eine Klangbarriere zwischen Bühne und Publikum, deren Überwindung auch einem stärker überzeugenden Ensemble ernsthafte Probleme bereitet hätte. Im Fall dieser Grazer Premiere gelang dies noch am ehesten Egils Silins als Dulcamara. Der Liebestrank, den der unglücklich liebende Nemorino (Martin Miller) bei ihm kaufte, stärkte zwar dessen Selbstbewusstsein, nicht aber seine Stimme. Und ohne Tenor kann man L'elisir d'amore nicht spielen. Auch wenn man in Alexandra Reinprecht eine vor allem im zweiten Akt akzeptable Adina hat, gegen die auch Igor Morozov als Sergeant stark abfällt. Dem Beifall nach zu schließen, scheint man in Graz bittere Operngetränke durchaus zu goutieren (DER STANDARD, Printausgabe vom 24.12.2001)