Namen, Daten, Geschichte und Geschichten: Daneben und dazwischen erwies sich das zu Ende gehende Jahr als Brutstätte für Enzyklopädisten: Alte Begriffe erschienen plötzlich in neuem Licht; neue Wörter entsprachen der Sturzflut der Ereignisse. A- ARIEL Bruder der Seejungfer? Njet, einfach ein Vorname halt. Kulturkontaminierte, bildungsbürgerlich gefährlich verseuchte Personen verstanden diesen bläulichen Scherz anfangs nicht: "Wie kann einer, der so viel Dreck am Stecken hat, Ariel heißen?" Warum hat denn das Parteipublikum so dreckig gelacht über diesen schmutzigen Luftgeist? Er musste mit Ariel gewaschen werden! Erkenntnis als Gleichnis: Menschen mit Reinheitsgebot gebrauchen den Shakespearschen Geist - in Goethes Faust "Führer der Elfen" - konsumkontaminiert im Sinne der Verleumdung und der Waschmittelmarke. (dok) AUSSCHREIBUNG Das Verfahren der Ausschreibung gehört der verwaltenden Sphäre an. In ihm spricht sich der politische Wille zu "größtmöglicher Transparenz" aus. Wohl auch deshalb hat Wiens Kulturstadtrat Andreas Mailath-Pokorny das Ausschreiben zur Maxime seines Handelns erhoben: Vom stolzen Theater bis zur Badehütte im Jugendstildekor wird die vakant werdende Leitungsfunktion jeder kulturnahen Einrichtung ausgeschrieben. Das politische Wollen versteckt sich hinter einem unscheinbaren Anzeigentext, der Bedingungen und Kriterien möglichst allgemein anführt.

Achtung: Ausschreibung schützt nicht vor Konfusion! Zwar gaukelt das "objektive Verfahren" den vogelfreien Wettbewerb der Ideen vor. Doch die Tücke steckt im Detail: Kein ernsthafter Bewerber fällt vom Himmel herab, sondern er weist Ursprungsdaten auf, charismatische Überzeugungsreste, anekdotisches Potenzial. Bester Beweis war im Falle der Josefstadt-Ausschreibung die Königsschnapsidee des Kulturstadtrats, vor einer Stellungnahme zu dem sich gar nicht beworben habenden Jury-Kandidaten Hermann Beil mit Hans Gratzer eilends in Verbindung zu treten. Merke: Heut-zutage ist nicht einmal das Wetter "objektiv"! (poh)

B - BAUERNMANIFEST Wichtiger Bestandteil der österreichischen Folklore, in gedruckter Form Zierde vieler Stalltüren heimischer Gehöfte, wo das BM neben dem Jungbauern-bzw. Jungbäuerinnenkalender das Landvolk mahnt, im Kreislauf des Jahres nicht nur den Wonnen der Euter zu frönen, sondern auch die Strafe des Herrn zu fürchten. Bei diesem handelt es sich um einen gewissen Herrn Dichand, der in dreifaltiger Kompanie mit Günther Nenning und Gerhard Heilingbrunner als geistiger Vater des BM gilt.

Als Textsorte ist das BM dem Typus der Rustikalapokalypse zuzuordnen. Von "schwarzen Rauchsäulen der Tierscheiterhaufen" ist da die Rede, von Lebensmitteln, die zu "Sterbensmitteln" werden, weil auf ihnen der Fluch von "Profit und nichts als Profit" ruht - eindringliche Bilder, die ihren Zweck, biedere Bauern zu Biobauern zu läutern, nicht verfehlen. Ewiges Ausgedinge im Paradies garantiert im Falle der Abnahme eines "Krone"-Abos und einer Tierpatenschaft für ein entzückendes Schmeißfliegenpärchen. (trax)

BEITRITTSKANDIDAT Ein Beitrittskandidat hat, und das ist völlig anders als bei den bereits integrierten Mitgliedern der europäischen Schicksalsgemeinschaft, daheim nicht nur mit einer misslichen und oft korrumpierten Wirtschaftslage zu kämpfen, was unter anderem - lange Hand, lange Finger! - auch zu einem Kleinkriminalitäts-Tourismus in den österreichischen Fußgängerzonen und eventuell anschließenden Flugreisen mit Sturzhelm und Klebeband vor dem Mund führt.

Weil speziell der Tscheche noch dazu kränkelnde Kernkraftwerke baut und sie obendrein in Betrieb setzt, wurde von Hans Dichand spätestens Ende 2001 der nationale Notstand ausgerufen. Sein Bauernmanifest scheiterte an BSE. Nun ist der Atom der neue Hund. In den anderen Nachbarländern brüten einstweilen diverse AKW still vor sich hin. Was man von der FPÖ nicht behaupten kann. Und, danke der Nachfrage, Wolf Martin geht es gut! (schach)

C - CALLCENTER In Zeiten, in denen einfache Regalbetreuer schon in hippem Dummdoof-Englisch als "shop assistant administrator" bezeichnet werden, floriert auch die Callcenter-Kultur. Rufzentren befinden sich meist in Billiglohnländern - wegen der verschwindend geringen Lohnnebenkosten "sourcen" viele Unternehmen nämlich immer lieber gerne "out" und werden von führenden so genannten Wirtschaftsmagazinen dazu noch weiter angefeuert.

Schlecht bezahlte Diener, in den meisten Fällen Frauen, dürfen sich also am Telefon in Demut üben (der wartende Kunde sowieso): "Schönen guten Tag, Stelle XX. Mein Name ist XY. Was darf ich für Sie tun?" Bei Nichtbefolgen dieser Floskel setzt's was. So was will man allerdings nicht einmal von einem Call-Girl oder -Boy hören. (dok) D - DJ ÖTZI Ballermann! Sangria kübelweise!! Mallorca, Sommer, Sonne, Herzinfarkt!!! Mehr wäre dazu eigentlich nicht zu sagen. Nachdem aber auch der einst idyllische Tiroler Wintersportort Ischgl in die internationale Gemeinde des Vereins zur Förderung der Naddelei unter besonderer Berücksichtigung des Fortkommens von Verona Feldbusch eingemeindet wurde, muss auch dieser weltweit einzigartige Träger einer blond eingefärbten Glatze hier erwähnt werden. Medien spiegeln nur den allgemeinen Zustand einer Gesellschaft wider. DJ Ötzi ist überall. Er trägt einen Bart, der aussieht wie eine Klobrille. Hier ein Dialog zwischen dem mittlerweile auch im Pop-Mutterland Großbritannien erfolgreichen Künstler und einer britischen Fernsehmoderatorin: DJ Ötzi: "Be careful when I come next time." Moderatorin. "Goodbye!!!" Das nächste Jahr wird kein Honiglecken. (schach) E - EINHEITSBÜHNENBILD , rollbar. Die Misslichkeit der maßlosen Josefstadt-Verschuldung brachte den künftigen Direktor Hans Gratzer auf die mit viel tapferer Spargesinnung vorgetragene Idee, die Stücke einer Saison möglichst auf denselben Bühnenbildern anzusiedeln: Zusammenrollbar und gut verstaubar sollen die einzelnen Teile sein, womöglich abwaschbar, von zeitloser Eleganz et cetera. Der Strizzi Liliom wird fortan auf demselben Pappfelsen lagern wie die Dichterin Sappho. Gedacht ist dem Vernehmen nach auch an Kostüme in strapazierfähiger Schurwolle, an formschöne Moonboots anstelle lästiger Kothurne, an gut wendbare Lodenstoffe, an nicht abwetzbares Hammelleder, Duschvorhänge anstatt Tüll, und so weiter. Der Josefstädter Ausstattungsleiter Rolf Langenfass tüftelt schon emsig. (poh) F - FAULHEIT "Es gibt kein Recht auf Faulheit!", lautete heuer eine Botschaft des deutschen Bundeskanzlers Gerhard Schröder. Er kündigte an, Arbeitslosen weniger zu bezahlen, wenn sie nicht Ja zur nächstbesten "zumutbaren" Arbeit sagen. Wir befürchten, dass das auch bei uns Schule machen wird - und kontern mit Zitaten: 1. "Ich würde es vorziehen, es nicht zu tun." (Hermann Melville, Bartleby ) 2. "Faulheit ist der Hang zur Ruhe ohne vorhergehende Arbeit." (Immanuel Kant) (schach) (DER STANDARD Printausgabe vom 24.12.2001)