Der 11. September hat das Ende der Spaßgesellschaft gebracht, das haben wir in den letzten Monaten oft und oft gehört und gelesen.Spaßgesellschaft? Hatten wir die überhaupt? Oder war sie, wie der deutsche Zukunftsforscher Matthias Horx meint, ohnehin nur eine Erfindung der Schlechtaufgelegten? Ist das, was man so Spaßgesellschaft nennt - nämlich die Gesellschaft von heute - womöglich gar nicht so schlecht? Die Übel, die den modernen Menschen angeblich beherrschen, sind besonders vor Weihnachten alljährlich ein be- liebtes Klagethema. Konsumwahn. Materialismus. Selbstherrlich- keit. Hedonismus. Werteverfall. Oberfläch- lichkeit. Ja, ja - geschenkt. Das gibt es alles. Aber wer den allgemein akzeptierten Wertekanon von heute mit dem von vor gar nicht so vielen Jahren vergleicht, sieht auch eine andere Seite der Medaille. Und siehe da, die Spaßgesellschaft-Generation steht gegenüber der nostalgisch verklärten Ernsthaftigkeitsgeneration von früher ganz gut da. Obenan steht die viel gescholtene Political Correctness. Gewisse Dinge, über die sich ehedem niemand aufregte, sind heute auch im konservativsten Milieu ganz einfach unmöglich, etwa Rassismus oder Sexismus. Leute, die Schwarze nicht mögen, gibt es natürlich nach wie vor, aber sie genieren sich wenigstens und legen Wert darauf, bei einschlägigen Gelegenheiten zu sagen: Ich bin ja kein Rassist, aber . . . Und auch die reaktionärsten Politiker haben gelernt, von ihrem Publikum gewissenhaft als von "unseren Wählerinnen und Wählern" zu sprechen. Frauen sichtbar und hörbar zu missachten kann sich niemand mehr leisten, es rächt sich. Aber das ist doch alles nur Fassade, werden Kritiker jetzt sagen. Die Menschen sind um kein Haar besser geworden. Stimmt. Aber wenn sich allgemein akzeptierte neue Werte durchsetzen, dann ist das ein gesellschaftlicher Fortschritt, über den man sich ruhig freuen kann. Wertewandel ist eben nicht Werteverfall. So neu sind diese angeblich neuen Werte übrigens gar nicht. Man kann sie auch mit altmodischen Ausdrücken benennen, etwa Menschenwürde oder Nächstenliebe. Relativ neu ist allerdings, dass sie nun explizit auch für gesellschaftliche Gruppen gelten, an denen sich noch in der vorangegangenen Generation jeder ungestraft "abputzen" konnte. Und wie ist das mit der Spaßgesellschaft? Noch vor gar nicht so langer Zeit war "Spaß" etwas leicht Suspektes. Verzicht und Anspruchslosigkeit waren angesagt. Jungen Mädchen durfte man um Gottes willen nicht sagen, dass sie hübsch sind, "sonst werden sie eitel". Und eine meiner frommen Tanten erinnerte sich an ihre Erziehung in der Klosterschule: Man hatte schon schlechtes Gewissen, wenn schönes Wetter war. Die moderne Spaßgesellschaft hat uns unter anderem den selbstverständlichen Anspruch vor allem der Jungen auf Freude im Beruf und Freude in der Liebe gebracht, den unbefangenen Umgang mit einem gewissen Wohlstand, der auch die Fähigkeit einschließt, auf materielle Dinge zu verzichten, wenn es sein muss. Es gibt heute eine Vielzahl von Menschen, die sehr hart arbeiten und sich ohne Lohn für andere einsetzen - und daran auch noch Spaß haben. Möglich, dass in Zukunft härtere Zeiten auf uns zukommen. Aber auf alle Errungenschaften der Spaßgesellschaft werden wir auch dann hoffentlich nicht verzichten müssen. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 24./25./26. 12. 2001)