Muzaffarabad - Vier Tage lang lief Abu Kasha durch schroffes Gebirge, um in den pakistanischen Teil Kaschmirs zu gelangen. Vier Tage, in denen er indischen Armeeposten auswich und einen Bogen um Landminen machte. Nun sitzt er in der Stadt Muzaffarabad auf einer grünen Matratze und zeigt seine mit Frostbeulen übersäten Hände und Füße. "Das ist ein kleines Opfer", sagt der schmächtige 21-Jährige. "Ich habe Heim, Mutter und Vater verlassen, um für die Befreiung Kaschmirs einen Heiligen Krieg zu führen."

Kasha kommt aus der indisch-kaschmirischen Region Sopur. Wie Tausende junge Männer in dem umstrittenen Gebiet glaubt er, dass nur der bewaffnete Kampf die Herrschaft Neu-Delhis über den mehrheitlich muslimischen Unionsstaat beenden kann. Es ist ihm egal, dass die USA die Gruppierung Jaish-e-Mohammed, deren Anhänger er ist, nach den Anschlägen vom 11. September zur terroristischen Organisation erklärt haben. Auch die internationale Allianz gegen militante islamistische Gruppierungen kümmert ihn wenig.

Drahtzieher

"Ist es denn Terrorismus, wenn man für die Freiheit seines eigenen Landes kämpft?", fragt Kasha. "Die Inder haben unser Land besetzt, ihre Soldaten töten unsere Leute, brennen unsere Häuser nieder. Sie zu bekämpfen ist unsere religiöse Pflicht." Indien betrachtet Jaish-e-Mohammed und eine weitere pakistanische Untergrundorganisation, Lashkar-e-Tayyaba, als Drahtzieher des Anschlags auf das Parlament von Neu-Delhi am 13. Dezember. Dabei kamen 14 Menschen ums Leben. Seitdem sind die ohnehin gespannten Beziehungen zwischen den beiden Atommächten auf einem Tiefpunkt.

Im halb autonomen pakistanischen Teil Kaschmirs operieren mehr als ein Dutzend militanter Gruppen. Militärmachthaber General Pervez Musharraf hält ein hartes Vorgehen gegen sie für schwierig, da sie von der Öffentlichkeit und von der Armee unterstützt würden. Und der Präsident des pakistanischen Teils Kaschmirs, Sardar Mohammed Anwar Khan, fordert von den USA Beweise gegen Lashkar-e-Tayyaba. "Wir können unsere kaschmirischen Brüder nicht einfach hinauswerfen. Wir werden sie weiter unterstützen", sagt Khan.

Neben Kasha warten in Muzaffarabad noch zwei weitere Jugendliche darauf, bei Jaish-e-Mohammed aufgenommen zu werden. Der 18-jährige Mumtaz Minhas sagt, er habe sein Zuhause in Hajera verlassen, ohne seinen Eltern etwas zu sagen. Der 19-jährige Mohammed Shahzad dagegen kam mit dem Segen seiner Eltern, um sich dem Djihad anzuschließen.

Die Kaschmirer hätten zu den Waffen gegriffen, weil sie die Hoffnung auf die Umsetzung von UNO-Resolutionen aufgegeben hätten, die eine Volksabstimmung über die Frage der Staatszugehörigkeit fordern, erklärt Lashkar-e-Tayyaba-Führer Mohammed Saeed. Neu-Delhi lehnt diesen Vorschlag ab und bezeichnet Kaschmir als integralen Bestandteil Indiens.

Ein Sprecher von Jaish-e-Mohammed erklärt, seit den Anschlägen vom 11. September versuche Indien, die Sezessionsbestrebungen als Terrorismus darzustellen. Indien und die USA üben Druck auf Pakistan aus, gegen die Führer der beiden Organisationen vorzugehen.

Das tut Pakistans Regierung tatsächlich auch schon seit Monaten. Die "Heiligen Kämpfer" zeigen sich jedoch wenig beeindruckt. "Der so genannte Kampf gegen den Terrorismus hat unsere Entschlossenheit gestärkt und unsere Reihen anschwellen lassen. Der Djihad in Kaschmir wird sich verstärken", sagt Saeed. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 27.12.2001)