"In welcher anderen Bananenrepublik kann ein wichtiger politischer Funktionsträger sagen, was das Oberste Gericht beschließt, ist mir wurscht?", fragt Grünen-Chef Alexander Van der Bellen im Gespräch mit Samo Kobenter angesichts der Attacken des Kärntner Landeshauptmanns.Wien - Im neuen Jahr wollen sich die Grünen verstärkt um die Themen Bürgerrechte, Menschenrechte, liberaler Rechtsstaat kümmern, kündigt der grüne Bundessprecher Alexander Van der Bellen im Gespräch mit dem Standard an. Und verbindet damit gleich eine heftige Kritik an der Regierung, vor allem an der FPÖ und am Kärntner Landeshauptmann Jörg Haider: "Es wird immer schlimmer. Von Monat zu Monat. Was mich beunruhigt, ist, dass diese Regierung systematisch Institutionen unterwandert, insbesondere die Justiz. Da stehen im Verfassungs- und Verwaltungsgerichtshof doch wichtige Personalentscheidungen an. In welcher anderen Bananenrepublik kann ein wichtiger politischer Funktionsträger sagen, was das Oberste Gericht beschließt, ist mir wurscht? Der Verlust der Gewaltentrennung und diese Art von Nichtanerkennung einer unabhängigen Justiz ist typisch für faschistische und andere Diktaturen." Dem stehe "nur die Schauspielschule Jörg Haider entgegen", die alle paar Monate ein neues Stück nach bewährtem Muster inszeniere. Ungeachtet der "Erregungsfallen", die Haider aufstelle und in die seine Gegner tappten, sei aber eines festzuhalten: "Was Haider macht, rührt an die Grundfesten der Republik, und zwar nicht das erste Mal. Die Adamovich-Geschichte ist schlimmer als der Sager von der ordentlichen Beschäftigungspolitik. Damals hat sich halb Österreich so echauffiert, dass Haider als Landeshauptmann zurücktreten musste. Jetzt wird das mehr oder weniger hingenommen." Kapitel längst nicht abgeschlossen Abseits der Auseinandersetzung mit der FPÖ ist das Kapitel Temelín noch längst nicht abgeschlossen. Allerdings sei das AKW nur dann wirkungsvoll zu bekämpfen, wenn Tschechien Mitglied der EU werde: "Dann, nur dann gibt es zwei Möglichkeiten: dass nämlich Temelín kontrolliert in Betrieb bleibt oder außer Betrieb genommen wird. Der Schüssel-Zeman-Vertrag, so dünn er auch sein mag, wird nur dann wirksam, wenn Tschechien EU-Mitglied wird. Dann wird es auch den Binnenmarktrichtlinien der EU unterliegen, und dann wird man sehen, ob Temelín überhaupt wirtschaftlich lebensfähig ist. Interne Subventionen wie jetzt wird es im gemeinsamen Markt nicht geben. Wir glauben, dass Temelín ein Verlustträger ist. Wir hören, dass die CEZ ohne das AKW um 20 Milliarden Schilling mehr wert ist." Dem FP-Volksbegehren sieht Van der Bellen mit gemischten Gefühlen entgegen: "Wenn viele hingehen, also mehr als eine Million Menschen, wird man daran nicht vorbeikönnen. Wenn es wenige sind, könnte das als Desinteresse an der Antiatompolitik ausgelegt werden. So oder so hat die FPÖ Österreich wieder einmal eine Bärendienst erwiesen." Volksbegehren als Erpressung Vor allem eines müsste klargemacht werden, sagte Van der Bellen: "Viele Leute glauben, da ist nichts dabei, das ist ein Anti-Temelín-Begehren. Das gerade ist es nicht. Im Text steht: Tschechien darf nur dann beitreten, wenn Temelín abgeschaltet wird. Kein Staat der Welt lässt sich auf diese Art erpressen." Mittelfristig bleibe das politische Ziel der Grünen, drittstärkste Partei zu werden und die schwarz-blaue Mehrheit zu brechen. Als Rahmen setzt sich Van der Bellen die nächsten beiden Legislaturperioden: "Lieber wäre mir schon die nächste Wahl. Aber die müssen wir zuerst gewinnen." Ob dann Rot-Grün ernsthaft als Option erwogen werde, könne er nicht sagen: "Ich habe den Eindruck, dass die SPÖ eher wieder zum alten Modell Rot-Schwarz tendiert. Wenn das der Fall ist, werden wir eben stärker als bisher in der Opposition sein." An vorgezogene Wahlen glaubt Van der Bellen nicht: "Solange sich die Umfragewerte nicht dramatisch ändern, sehe ich kein Interesse von FPÖ und ÖVP. Wenn Haider mit seinen Attacken gegen EU-Erweiterung und Rechtsstaat weitermacht, stellt sich sogar für ÖVP irgendwann die Sinnfrage." Über eines mache er sich keine Illusionen, betonte Van der Bellen: "Wenn sie die Mehrheit haben, werden es ÖVP und FPÖ wieder miteinander versuchen." (DerStandard,Print-Ausgabe,28.12.2001)