Nach 30 Jahren seines Bestehens ist das Sigmund-Freud-Museum in der Berggasse weit mehr als nur eine Ansammlung von Devotionalien. Jetzt will Direktorin Inge Scholz-Strasser das Museum auf eine solidere wirtschaftliche Basis stellen.
von Roman Freihsl
Wien - Irgend wann einmal wünscht man sich eine ordentliche, solide Grundlage. Und spätestens nach 30 Jahren ist es dann so weit, dass dieser Wunsch deutlich artikuliert wird. "Ich denke, bis zum Jahr 2006 - zum 150. Geburtstag von Sigmund Freud - wäre es an der Zeit, dieses Museum auf stabilere wirtschaftliche Beine zu stellen", erklärt Inge Scholz-Strasser, Direktorin des heuer 30 Jahre alten Sigmund-Freud-Museums in der Berggasse 19. Ihr nächstes großes Ziel lautet daher: "Im Hinblick auf die Prominenz des Ortes soll daher eine Stiftung angedacht werden - ähnlich, wie dies beim Schönberg-Center geschehen ist." Wichtig wäre jedenfalls "ein akkordiertes Vorgehen von Stadt Wien und Bund" - auch zur Sicherung der Substanz und des gesamten Gebäudekomplexes. "Um dem gerecht zu werden, was international von einem derartigen Standort eingefordert wird", betont Scholz-Strasser. Ein Standort, der traditionellerweise international weit mehr Beachtung findet als beim heimischen Publikum. Und die Konfrontation des Wiener Publikums mit der eigenen Vergangenheit sei zum Teil auch weit mühsamer: "Manchmal kommen Leute und sagen: Jö, da schaut’s aus wie bei der Fini-Tant’", berichtet Scholz-Strasser. "Und ich kann dann nur drauf sagen: Ja, aber die Fini-Tant’ wurde nicht vertrieben." Insgesamt kam rund eine Million Besucher in das Freud-Museum, seit es 1971 mit Anna Freud als Ehrengast eröffnet wurde. Ein paar Zimmer waren das damals nur - ergänzt durch eine großzügige Spende der jüngsten Freud- Tochter: Die Einrichtung des Praxis-Wartezimmers etwa, Bücher und ein Teil der Antikensammlung. Mehr als Devotionalien Damals war es keineswegs absehbar, dass sich daraus ein Gedächtnisort mit 280 Quadratmetern Schau- und mehr als 800 Quadratmetern Nutzfläche entwickeln würde, der weit mehr ist, als eine Präsentation Freudscher Devotionalien: "Es geht auch um die Auseinandersetzung mit aktuellen Inhalten. Unser Anspruch ist eine Präsentation dessen, was Psychoanalyse im 21. Jahrhundert leisten kann - und es geht um die Schnittstelle mit zeitgenössischer Kunst, um die Auseinandersetzung mit modernen Phänomenen." Schnittstelle Kunst "Die Einrichtung des Vortragssaales im Jahr 1996 war der eigentliche Quantensprung", erinnert sich die Direktorin. Nicht nur als Raum für das Vortragsprogramm - sondern auch für die Präsentation der "Foundation for the Arts", die der Künstler Joseph Kosuth für das Freud-Museum zusammenstellte - unter anderem mit Werken von Franz West, Heimo Zobernig, Sherrie Levine oder Jenny Holzer. Kunst auch als Schnittstelle: Die jüngste Installation "Public Seduction" von Kiki Seror etwa verknüpfte einen mit sexuellen Fantasien aufgeladenen Internet-Chatroom mit Freuds Fall "Dora". Schnittstellen, wie sie auch in anderen Bereichen gesucht werden. Sei es nun eine Psychoanalyse des Wienerliedes - oder etwa eine psychoanalytische Spurensuche im Film. Dazu natürlich die wissenschaftliche Arbeit, die mehr und mehr dazu führte, dass der Standort Wien in der internationalen Szene wieder einen Namen bekam. Bisheriger Höhepunkt: eine gemeinsam mit der Library Hall of Congress erarbeitete Schau; "es war die größte Freud-Ausstellung in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts - und Wien war 1999 der einzige Standort, wo sie im deutschen Sprachraum zu sehen war", betont Scholz-Strasser. In Summe also viel mehr, als nur historisierendes Sammeln für das Museum. "Die Wiener finden sich da oft nicht zu Hause. Nach dem Wartezimmer zeigen wir in und von der Praxis schließlich nur Bilder. Oft werde ich gefragt, ob wir nicht die Couch zurückholen wollen. Meine Antwort lautet: Nein." Eine umfassende Beantwortung, warum diese Lücke nicht mehr geschlossen werden soll, wird ein Projekt im kommenden Jahr geben: Es wird sich der Vertreibung beziehungsweise der Vernichtung der Familie Freud widmen. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 28.12. 2001)