Tuvalu liegt nicht auf der Reiseroute des Pauschaltouristen. Einem Fliegendreck gleich hebt sich die kleine Inselgruppe von der blauen Karte des Pazifik ab. Ein klassisches Südseeparadies, etwa 1000 Kilometer nördlich von Fidschi, ohne zuverlässige Flugverbindung, ist Tuvalu alles andere als eine "einfache" Destination für Reisende.Nur etwa 1000 Menschen pro Jahr besuchen die von rund 10.900 Bewohnern besiedelten neun Korallenatolle mit einer Gesamtlandesfläche von nur 26 Quadratkilometern. Doch was sie sehen, hat nicht mehr viel mit einem Südseetraum zu tun, sondern mit einem Albtraum. Hält die gegenwärtige Entwicklung an, fürchtet die tuvalesische Regierung, wird das Land innerhalb der nächsten 50 Jahre vom Meer verschluckt. Theorienstreit Klimawissenschafter warnen seit Jahren, dass die Erwärmung der Erdatmosphäre indirekt zum Anstieg des Meeresspiegels führt, der die Existenz von pazifischen Inselstaaten wie Tuvalu und Kiribati bedroht. Andere Wissenschafter (siehe Bericht unten) sind anderer Meinung. Dennoch, es sieht aus, als hätte der Anfang vom Ende bereits begonnen: An ihrem höchsten Punkt gerade mal vier Meter über dem Meeresspiegel liegend, bieten die Koralleninseln von Tuvalu keinen Schutz mehr vor der steigenden Flut. Salzwasser durchdringt den Boden und vergiftet Palmen und andere Pflanzen. Die von den Inselbewohnern seit Jahrhunderten angebauten Yams- und Taro-Gemüse werden überirdisch in Kompostbehältern gezogen. Immer wieder plätschert Wasser gegen die Haustüren von Strandbewohnern. Vergangenes Jahr setzte eine besonders hohe Flut große Teile des Landes unter Wasser. Die Telefonverbindung war wochenlang lahm gelegt, der einzige Flughafen des Landes glich einem See. "Die Diskussion darüber, ob es den Treibhauseffekt gibt oder nicht, ist endgültig vorbei", meint der Atmosphärenwissenschaftler Grame Pearman vom australischen Forschungsinstitut Csiro. Dafür gehe es bei den meisten Debatten um die Frage, "was wir tun sollen". Vor Jahren noch umstritten, scheint heute unter den Wissenschaftern fast Konsens zu herrschen: Der Konsum fossiler Treibstoffe führt über Abgase zum so genannten Treibhauseffekt. Eine höhere Temperatur in der Atmosphäre wiederum lässt Polareis und Schnee schmelzen. So steigt der Pegel der Weltmeere. Ob um Millimeter oder gar um Zentimeter, das bleibt eine offene Frage. Beigetragen zum Umdenken vieler Treibhaus-Skeptiker hatte der Bericht des Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC). Diese Länder übergeifende Gruppe von 150 führenden Wissenschaftern und 1000 weiteren Autoren kam unter anderem zum Schluss, natürlich vorkommende Klimaveränderungen seien durch den Industrialisierungsprozess beschleunigt worden. Die IPCC fürchtet, die weltweite Durchschnittstemperatur werden in den nächsten 100 Jahren um 1,4 Grad bis 5,8 Grad steigen - mit katastrophalen Konsequenzen für Umwelt, Wetterverhalten, Wasserversorgung, Agrarproduktion und die Pegel der Weltmeere. Vergeblicher Hilferuf Derartige Aussichten sind für die Menschen von Tuvalu Grund für höchsten Alarm. Viele wollen weg, auswandern in sichere Gebiete. Doch ein Hilferuf an das Nachbarland Australien stieß auf wenig Verständnis. Der dortige Immigrationsminister Philip Ruddock will "Umweltflüchtlingen" keine erleichterte Einwanderung erlauben. Dabei wäre die australische Regierung moralisch verpflichtet, sich um die Opfer der Klimaveränderung zu kümmern. Unter den Industriestaaten ist Australien einer der stärksten Verursacher von Treibhausgasen. Gemeinsam mit den USA wehrt sich das Land gegen die Ratifizierung des Kioto-Protokolls, das eine weltweite Reduktion von Schadstoffen vorsieht. Während die Politiker reden, verlieren in Tuvalu sogar Tote ihre Ruhe. Immer häufiger prallen auf dem Friedhof die Wellen des Pazifiks gegen die von Wind und Wetter ausgebleichten Grabsteine. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 28. 12. 2001)