Kassel - Noch dauert es ein halbes Jahr, bis die "documenta 11" am 8. Juni in Kassel ihre Tore öffnet. Doch im Archiv der Weltkunstschau (bis 15. September) hat das Sammeln, Sichten und Sortieren schon lange begonnen. "Wir dokumentieren das gesamte Ereignis - einschließlich der Vorgeschichte und der längst eingesetzten öffentlichen Diskussionen", erklärt Archivleiterin Karin Stengel. Alles, was mit der "documenta" zu tun hat, soll irgendwann seinen Platz in den Ordnern und Schränken finden - vom Zeitungsartikel über Schriftwechsel und Baupläne bis hin zum Foto jedes ausgestellten Kunstwerks. "Ein Archiv ist maßlos und wertfrei", sagt Stengel. Unlängst sei sie auf die Unterlagen eines Mannes gestoßen, der sich bei irgendeiner der vergangenen Ausstellungen die Nase gebrochen hat. "Keine Ahnung, was da genau passiert ist - aber die dazu gehörigen Schreiben und Arztrechnungen haben wir alle hier." Wie viele Regalmeter die unzähligen Briefe, Konzeptpapiere, Gästebucheinträge oder Katalogentwürfe eines Tages füllen werden, ist daher noch nicht absehbar. Die seit der ersten "documenta" des Jahres 1955 immer stärker angeschwollene Papierflut lässt jedoch Platzprobleme befürchten: Reichten anfangs sechs Schuber für die Akten, waren bei der 10. "documenta" vor fünf Jahren bereits knapp 170 nötig. "Die d11 bringen wir wohl gerade eben noch unter", kalkuliert Archiv-Bibliothekarin Sabine Franke. "Danach haben wir bis zur nächsten Ausstellung fünf Jahre Zeit, uns größere Räume zu suchen." 1961 geschaffen Das 1961 auf Initiative von "documenta"-Begründer Arnold Bode geschaffene Archiv dient aber nicht nur als Gedächtnis der "documenta" selbst. In den 40 Jahren seines Bestehens entwickelte es sich vielmehr zu einem bundesweit einmaligen Informationszentrum für zeitgenössische Kunst allgemein - mit einer der umfangreichsten Spezialbibliotheken in Deutschland sowie einer eigenen Abteilung für Fotos und Filme. Rund 80.000 Bücher, 30.000 Bilder und 2.500 Videotitel stehen zur Verfügung. Nirgends sonst gibt es eine derart umfassende Sammlung von Katalogen. 55.000 Ausstellungen von den 50er Jahren bis heute können damit belegt werden. 30 voluminöse Schubladenschränke sind gefüllt mit Einladungskarten und Kritiken, die Hinweise geben auf namhafte wie namenlose Künstler überall im Land. "Jede Bewegung, die sich in der Szene zeigt, wird bei uns belegt", sagt Bibliothekarin Franke nicht ohne Stolz. Seit gut zehn Jahren gibt es zudem - als praktisches Gegenstück zu all dieser Theorie - eine Artothek, in der Bürger für eine symbolische Gebühr Arbeiten von Kasseler und "documenta"-Künstlern für das heimische Wohnzimmer ausleihen können. Forschungsprojekt zur Digitalisierung Gemeinsam mit fünf weiteren europäischen Kunstarchiven bemüht sich das "documenta"-Archiv in einem europäischen Forschungsprojekt darum, seine Bestände zu digitalisieren und über das Internet zugänglich zu machen. "Die Arbeit hier vor Ort wird dadurch aber nicht aufhören", meint Archiv-Chefin Stengel. "Dafür ist der Reiz des Originals viel zu groß." Vor allem Kunsthistoriker kämen in das ehemalige Schulgebäude hinter der Kunsthalle Fridericianum, um nach den bedeutenden und unbedeutenden Details aus der Geschichte von "documenta" und zeitgenössischer Kunst zu suchen, berichtet die Archivleiterin. Doch daneben diene das Archiv natürlich auch den Ausstellungsmachern zur Vorbereitung der nächsten Weltkunstschau. (APA/dpa)