Der Rückblick auf das alte und die Vorausschau auf das neue Jahr erzeugen bei vielen den Eindruck, eine gewisse Ausweglosigkeit charakterisiere die politische Situation in Österreich. Das ist nicht grundsätzlich falsch. Weil aber das Gefühl politischer Ausweglosigkeit in empfindsamen Seelen gelegentlich ein tiefes Unbehagen hervorruft, versuchen sie, sich durch kühne Koalitionsfantasien Erleichterung zu verschaffen. Diesen Versuchen setzt leider Angst enge Grenzen, nämlich die Angst davor, die österreichischen Wählerinnen und Wähler würden auch bei der nächsten Wahl kein Signal setzen, markant genug, einer Änderung der gegenwärtigen unliebsamen Verhältnisse Bahn zu schaffen. Und weil Angst ein schlechter Ratgeber ist, sind manche bereits so weit, in einer rot-blauen Koalition wenn schon nicht das Heil, aber immerhin eine akzeptable Möglichkeit zu sehen.

Als Nährvater dieser eitlen Hoffnung ist unschwer Hans Dichand zu erkennen, der sich von einer koalitionären Zusammenführung seiner beiden Stammwählerbereiche eine Krönung seines kommerziellen Lebenswerkes verspricht. Die andere Triebfeder ist sein Hass auf einen ÖVP-Obmann, der es gewagt hat, gegen seinen Willen Bundeskanzler zu werden. (Beweis: Neulich sagte er ihm laut Format im völkischen Majestätsplural, "dass wir ihn nicht hassen".) Und der sich, seit er es gegen Dichands Willen geworden ist, um den Nachweis bemüht, ein Regierungschef müsse nicht nach der Pfeife eines Zeitungsherausgebers tanzen.

Besonders muss Dichand daran reizen, dass Schüssel in Regierungsdingen bisher nur in einer einzigen Sache Achtung erwerben konnte - eben mit seiner Distanz zum Blattl. Der Möglichkeit, Dichands Wahn, er wäre die Inkarnation des Volkswillens, aufklärerisch entgegenzutreten, hat sich Schüssel freilich begeben - dadurch, wie er sich selber den Bundeskanzler erschummelt hat.

Dichands Motive für Rot-Blau sind leicht durchschaubar, sie stellen aber nur auf sein eigenes Wohl ab. Daher ist auch seine politologische Argumentation bestenfalls schrullig zu nennen: "Beide sind ja schon Arbeiterparteien, weil so viele von der SPÖ zur FPÖ übergelaufen sind. Was soll da zerreißen, und gegen wen sollen die Roten etwas haben?" bramarbasiert er in Format. Eben deshalb wäre es ja geradezu selbstmörderisch für die SPÖ, die Abwanderung von Kernschichten durch Verwischung der Grenzen zur FPÖ weiter zu fördern, statt sie durch klarere Abgrenzung als bisher rückgängig zu machen.

Ganz abgesehen vom Prinzipiellen. Die FPÖ ist eine im Grunde undemokratische Partei, sowohl nach innen, wie die nachhaltige Exekution des Führerprinzips beweist, als auch nach außen, wie die Angriffe auf den Verfassungsgerichtshof zeigen. Eine SPÖ, die sich damit arrangieren wollte, könnte ihre Stammwähler scharenweise abschreiben. In der ÖVP scheint diese Gesinnung viele nicht zu stören, solange sie ihr den Kanzler erhält. Aber gut sieht sie dabei nicht aus, weshalb sie ein schrill warnendes Beispiel dafür abgibt, wie es einer Partei ergeht, die sich mit der FPÖ Haiders ins Bett legt, mag der nun in Kärnten oder anderswo residieren.

Sollten die Wähler bei nächster Gelegenheit wieder keine eindeutige Entscheidung treffen, muss man nicht gleich in verschlissenen Koalitionsschablonen denken. Wo angeblich alle so gegen politische Erstarrung sind, könnte doch auch eine mit Abstand stärkste Partei den Kanzler stellen und sich wechselnde Mehrheiten suchen. Nicht ideal, aber mindestens so demokratisch wie das jetzige Regime. Catonische Spinnereien weisen sicher keinen Ausweg zum Besseren.

(DER STANDARD, Print- Ausgabe, 29/30. 12. 2001)