Zeit
Wien und Niederösterreich: Eine einvernehmliche Scheidung
Vor 80 Jahren wurde getrennt, was zuvor das "Erzherzogtum Österreich unter der Enns" war
St. Pölten - Seit 80 Jahren sind Wien und Niederösterreichselbstständige Bundesländer: Am 29. Dezember 1921 beschlossen derLandtag von Niederösterreich-Land und der Wiener Gemeinderat das sogenannte "Trennungsgesetz". Damit wurden mit Jahresbeginn 1922 ausdem einstigen Erzherzogtum Österreich unter der Enns die beidenselbstständigen Bundesländer Niederösterreich und Wien. Es handelte sich bei der Trennung um eine "einvernehmlicheScheidung", der allerdings lange und schwierige Verhandlungenvorausgegangen waren. Noch in der Silvesternacht 1921/22 wurden imWiener Rathaus die letzten Gespräche geführt - bei Wein undBauernbrot, die der spätere niederösterreichische LandeshauptmannJohann Mayer, ein Bauer aus Bockfließ, mitgebracht hatte, wie derlangjährige Innenminister Oskar Helmer in seinen Lebenserinnerungenfesthielt. Es ging dabei vor allem um die Zukunft der defizitärenLandesbahnen, die schließlich vom Eisenbahnministerium übernommenwurden, und des NÖ Landhauses in der Wiener Herrengasse.
Parteipolitisches Taktieren
Sicher spielten bei der Trennung auch parteipolitische Erwägungender niederösterreichischen Christlichsozialen und der WienerSozialdemokraten eine Rolle, hielt die Landeskorrespondenz in derAussendung fest. Man habe sich "auseinander gelebt", die Differenzenzwischen der Großstadt und des agrarisch geprägten Landes seien zugroß geworden. Vor allem aber war ein staatspolitischer Aspektentscheidend. Mit der Bundesverfassung 1920 hatte sich das kleingewordene Österreich für den Föderalismus entschieden und ein Landmit mehr als der Hälfte der österreichischen Bevölkerung, das dieanderen jederzeit majorisieren hätte können, war für die westlichenBundesländer nicht akzeptabel.
Bereits 1920 wurden die Weichen gestellt, und zwar nach dem Musterder Schweizer Halb-Kantone. Es gab zwei gesetzgebende Körperschaften,den Landtag von Niederösterreich-Land und den Wiener Gemeinderat, diein jenen Angelegenheiten, die von der "gemeinsamen Landesverfassung"als nach wie vor gemeinsam deklariert waren, zu gemeinsamen Sitzungenzusammentraten. Analog zu diesen "Kurien" wurde fürNiederösterreich-Land eine eigene Regierung gebildet, die gleicheFunktion hatten für Wien der Bürgermeister und der Stadtsenat.
Landeshauptstadt-Frage
Gleichzeitig bestand die gemeinsame Landesregierung weiter.Gemeinsame Angelegenheiten waren unter anderem die Fürsorge- undKrankeninstitutionen, die Landeshypothekenanstalt und dieLandeseisenbahnen. Der Weg ging aber klar in Richtung auf dievollständige Trennung, sie wurde vor 80 Jahren vollzogen. Damitbegann gleichzeitig auch die Diskussion um die eigeneniederösterreichische Landeshauptstadt - eine Frage, die erst in denneunziger Jahren gelöst wurde. (APA)